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Hallo an Euch alle, meine Sächsischen Israelfreunde!
von Ilit Paz aus Nir-Am, derzeit Tel Aviv, am 14. November 2023
Ich schreibe Euch heute Abend von einem Ort aus, der sich für mich sehr unnatürlich anfühlt. Obwohl wir uns in der Nähe eines der Strände von Tel Aviv befinden, sind die Geräusche der Stadt ein völliger Gegensatz zu meinem Zuhause. Nach einem sehr fröhlichen und arbeitsreichen Sukkot (Laubhüttenfest) voller Feiern – einschließlich einer Zeltnacht auf dem grünen Gras – wachten wir durch einen Wecker auf. Wäre es einen Tag früher gewesen, wäre unsere Gemeinde in Zelten auf der grünen Wiese aufgewacht. Am Samstagmorgen um 6:30 Uhr ertönte der erste Alarm. Alle waren zuhause und rannten in den Schutzraum. Ein Alarm nach dem anderen ertönte gleichzeitig im ganzen Land.
Wunder Nummer 1: Wir waren zuhause und nicht in Zelten – und unverletzt.
Eine der Explosionen war sehr stark und nah, und ich glaube, sie traf unseren Elektrizitätsraum, da der Schutzraum dunkel wurde. Um 6:45 Uhr hörten wir wieder und wieder Schüsse. Wir dachten sofort, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte. Mein Mann Saar Paz rief an, um herauszufinden, ob tatsächlich etwas nicht stimmt und ob seine Hilfe benötigt werde. Man sagte ihm, dass die IDF uns zwar nur angewiesen hatte, vorbereitet zu sein, – wir, die CDU, die Civilian Defense Unit (zivile Verteidigungseinheit) – wir aber beschlossen hatten, einzugreifen. Saar zog sich an und ließ uns zuhause zurück, und die Alarme und Schüsse gingen weiter.
Diese Entscheidung hat sich als unser 2. Wunder erwiesen: Als die Hamas-Terroristen kamen, waren wir auf sie vorbereitet.
Wunder Nummer 3: Wegen des Stromausfalls blieben die gelben Einfahrtstore (des Kibbuz; Anm. d. Red.) geschlossen und die Terroristen konnten nicht herein. Unsere Männer bekämpften sie über den Zaun. Ein Terrorist schaffte es, ihn zu erklimmen und wurde sofort erschossen.
Wunder Nummer 4: Nachdem es einer kleinen Gruppe Soldaten nicht gelungen war, sich gegen 35 Terroristen zu verteidigen, konnten sie sich sehr gut in dem Gebäude in der Nähe unserer Obstplantagen verschanzen. Die Soldaten wurden alle verletzt und einer wurde getötet. Der Kommandeur einer Spezialeinheit hörte über Funk den Ruf des Mannes unserer Verteidigungseinheit. Da er in der Nähe war, beschloss er, uns zu Hilfe zu kommen. Seinen sehr gut ausgebildeten Soldaten gelang es, die Terroristen zu töten, die kurz davor waren, unsere Zäune zu übersteigen. Am Ende des Tages hatte die Armee ein Todesopfer und die Spezialeinheiten der Polizei ein Todesopfer in Nir-Am zu beklagen.
Gegen 21:00 Uhr erhielten wir den SOS-Befehl, den Kibbuz zu verlassen. Das Problem war, dass die Kommunikation ausgefallen war. Da sich die Leute in ihren Sicherheitsräumen versteckten, hatten sie auch kein Wi-Fi-Signal. Es war extrem schwierig, alle zu erreichen. Zwischen 22:00 und 7:00 Uhr rief ich an und schickte das Militär los, um an Türen und Fenster zu klopfen und all diejenigen zu rufen, die meine Nachricht nicht empfangen konnten. Um 7:00 Uhr hatte ich alle erreicht und konnte nach 24 Stunden etwas ausruhen. Wenige Stunden später trafen wir mit dem Rest unserer Gemeinde im Herods-Hotel Tel Aviv ein, wo wir bis jetzt über 37 Tage verbracht haben. Wir wurden vom Hotel und von der Tel Aviver Gemeinschaft herzlich aufgenommen. Sie versorgten uns mit allem, was wir brauchen. Kleidung, Seife, Shampoo, Babyartikel und sogar Kosmetika.
Wir haben viele Freunde verloren, einige wurden getötet, andere sind entführt worden oder werden vermisst. Wir können es nicht genau sagen, da das Rote Kreuz keine Bestätigung gegeben hat, wie es von ihm erwartet wird. Shira, meine 15 Jahre alte Tochter, kam in der ersten Nacht zu mir. Sie zeigte mir ein Video, das ihre Klasse gemacht hatte. Sie sagte: „Mama, ich glaube, meine Freundin wurde nach Gaza verschleppt, was soll ich tun? Wie kann ich ihr helfen?“ Ich war fassungslos, mir fehlten die Worte, um auf eine so surreale Frage zu antworten. Ich bat sie, nach oben zu gehen, während ich überprüfte, ob das wahr ist oder nicht. Ich konnte mich nicht dazu durchringen, die Mutter anzurufen, also kontaktierte ich die Direktorin der Schule und fand heraus, dass einige Schüler tot sind und einige entführt wurden. In der anderen Bezirksschule seien etwa 20 Schüler tot oder entführt worden. An jenem Samstag unternahmen zehn Schüler einen Fahrradausflug zum „Schwarzen Pfeil“, (einem Gedenkort bei Kfar Aza für die Einsätze der Fallschirmjägereinheiten der IDF für die Verteidigung Israels; Anm. d. Red.). 30 bis 35 Terroristen griffen sie an, ebenso die beiden Erwachsenen, die sie begleiteten. Die Angreifer waren als IDF-Soldaten verkleidet. Die Schüler brauchten eine Sekunde, um zu verstehen. Sie flohen auf ihren Fahrrädern zu ihren Fahrzeugen und fuhren weg, um Hilfe zu holen. Ein junger Mann verlor ein Auge, ein anderer wurde am Arm getroffen und einer am Bein, aber sie haben alle überlebt.
Wir hoffen, dass Ihr Euch nicht nur für uns interessiert, sondern in Europa für unsere Freunde hinter den feindlichen Linien die Stimme erhebt. Ich habe das Gefühl, dass die Welt über uns urteilt, während wir lediglich versuchen, unsere israelischen Mitbürger zu schützen. Würde jemand anderes sie schützen, wenn nicht die IDF?
Eure Freundin Ilit Paz aus Nir-Am, jetzt Tel Aviv