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| Ulrich W. Sahm, Jerusalem

Kommentar: Die Koalition zu Nahost

Hauptthema im Koalitionsvertrag: PKW-Maut, Renten, Steuern, also Geld, Geld und noch einmal Geld. Unter Punkt 7 geht es um „Verantwortung in der Welt“, darunter Nahost. Fast so interessant, wie das, was da drin steht, ist das, was man vornehm verschweigt. Die deutschen Verpflichtungen zum Existenzrecht Israels entsprechen stehender Politik.

Beachtenswert ist hier die Definition Israels als „jüdischem und demokratischem Staat“. Diese Formulierung stößt bei Arabern und ganz besonders bei den Palästinensern auf Widerstand, weil sie eine Absage an das „Rückkehrrecht“ für 5 Millionen arabische Flüchtlinge nach Palästina impliziert. Der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas weigert sich ausdrücklich, Israel als „jüdischen Staat“ anzuerkennen.

Das „hohe Interesse an Frieden und Stabilität im Nahen und Mittleren Osten“ klingt gut. Einziger Störfaktor für „Frieden und Stabilität“ in der Region scheint jedoch nur noch das unerreichte Ziel einer Zweistaaten-Lösung zu sein, mit Israel „in anerkannten und dauerhaft sicheren Grenzen“ und in Frieden daneben, „einem unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen palästinensischen Staat.“

Einige Formulierungen bedürfen der Klärung. So wird der Eindruck erweckt, als habe Israel nur Grenzstreitigkeiten mit den Palästinensern, nicht aber mit dem Libanon und Syrien. Auch die drei Eigenschaften des palästinensischen Staates sind keineswegs eindeutig. Die Palästinenser setzen „lebensfähig“ gleich mit der Größe des Staates und dem Verschwinden aller jüdischen Siedlungen. Doch „lebensfähig“ ist zum Beispiel Singapur, doppelt so groß wie der winzige Gazastreifen, aber mit dreimal mehr Einwohnern. „Unabhängig“ ist ein dehnbarer Begriff. Für EU-Staaten und NATO-Partner gilt er nicht.

Weiter geht es um die „Transformationsprozesse“ in den arabischen Staaten. Begrüßenswert ist natürlich der deutsche Wille, eine „positive Entwicklung zur Demokratie“ zu unterstützen. Sind da etwa der Irak, Jemen, Syrien oder Libyen gemeint? Ausführlich werden unhaltbare Zustände in Ägypten aufgezählt. Warum verliert die Koalition kein Wort zu Religionsverfolgungen im Iran, der Vertreibung der Christen aus dem Irak, oder der Flucht der letzten Juden aus dem Jemen? Die Absichtserklärung zu einer „politischen Lösung“ in Syrien mit „Druck auf das Regime in Damaskus“ klingt wie Vorschläge zur Schlichtung eines Streites zwischen der Schweiz und Liechtenstein, nicht aber wie der Einsatz in einem Bürgerkrieg, in dem 130.000 Menschen ermordet und Millionen Obdachlose im eigenen Land auf der Flucht sind.

Wer die grausame und blutige Wirklichkeit in Nahost hautnah miterlebt, kann immer wieder nur staunen, wie deutsche Politiker Krieg, Mord und Totschlag in diplomatische Floskeln ohne jeglichen Bezug zur Realität packen.

Auszug aus dem Koalitionsvertrag im Wortlaut:

Wir bekennen uns zu der besonderen Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel als jüdischem und demokratischem Staat und dessen Sicherheit. Das Existenzrecht und die Sicherheit Israels sind für uns nicht verhandelbar. 2015 feiern wir das 50-jährige Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zum Staat Israel. Dieses Jubiläum wird die Bundesregierung angemessen würdigen.

Deutschland und Europa haben ein hohes Interesse an Frieden und Stabilität im Nahen und Mittleren Osten. Unser Ziel ist eine Zweistaaten-Lösung mit einem Staat Israel in anerkannten und dauerhaft sicheren Grenzen sowie einem unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen palästinensischen Staat, die Seite an Seite in Frieden und Sicherheit leben. Wir unterstützen die Transformationsprozesse derjenigen arabischen Staaten, in denen sich eine positive Entwicklung zur Demokratie und zum gesellschaftlichen Pluralismus abzeichnet. Die begonnenen Transformationspartnerschaften wollen wir fortführen.

Der Umgang mit der jeweiligen Opposition, die Gewährung elementarer Grund- und Freiheitsrechte einschließlich des Rechts auf Religionsfreiheit sowie die Existenz einer freien Presse- und Medienlandschaft sind für uns ausschlaggebende Kriterien für die Unterstützung dieser Staaten. Religiöse Minderheiten müssen ihren Glauben frei ausüben können und vor Gewalt geschützt werden. Das Urteil gegen Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung und die mehrjährigen Haftstrafen dürfen keinen Bestand haben. Die deutsch-ägyptische Erklärung vom Januar 2013 muss Gültigkeit haben. Die deutschen politischen Stiftungen müssen in Ägypten frei arbeiten dürfen.

Wir beobachten mit großer Sorge, dass die Lage der Christen und anderer religiöser und ethnischer Minderheiten in Nordafrika, dem Nahen oder Mittleren Osten nach dem Sturz der autoritären Regime sich zum Schlechteren entwickelt. Auch deshalb werden wir die Entwicklung von pluralistischen Gesellschaften, in denen Religionsfreiheit garantiert und umgesetzt wird, dort mit aller Kraft unterstützen. Christen müssen in dieser Region eine Zukunft haben.

Deutschland wird sich gemeinsam mit seinen Partnern aktiv an der Suche nach einer politischen Lösung des Syrienkonflikts beteiligen. Gemeinsam mit der internationalen Staatengemeinschaft werden wir den Druck auf das Regime in Damaskus aufrechterhalten, die gemachten Zusagen vollständig einzuhalten. Den wachsenden Einfluss islamistischer Kräfte betrachten wir mit Sorge. Wir wollen das Leiden der syrischen Flüchtlinge und Vertriebenen in den Anrainerstaaten lindern helfen und setzen uns für einen humanitären Zugang von Hilfsorganisationen innerhalb Syriens ein. Wir werden uns gemeinsam mit dem UNHCR gegenüber anderen EU-Mitgliedstaaten für eine gemeinsame europäische Initiative zur Aufnahmesyrischer Flüchtlinge einsetzen.

Wir fordern den Iran auf, alle Zweifel am ausschließlich friedlichen Charakter seines Atomprogramms auszuräumen. Ein nuklear bewaffneter Iran stellte eine Gefahr für die gesamte Region und darüber hinaus dar und würde den weltweiten Bemühungen um Abrüstung und Nonproliferation schweren Schaden zufügen. Um die Gefahr abzuwenden, dass der Iran die Fähigkeit hat, Nuklearwaffen herzustellen, unterstützen wir im Rahmen der Verhandlungsgruppe von Großbritannien, Frankreich, Deutschland USA, Russland und China, (E 3 plus 3) alle Anstrengungen für eine diplomatische Lösung des Irankonflikts. Dabei halten wir am „doppelten Ansatz“ fest. Die Politik der internationalen Gemeinschaft gegenüber dem Iran, die auf Kooperationsangebote und gezielte Sanktionen setzt, hat zu Bewegung in den zuvor festgefahrenen Verhandlungen geführt. Unser Ziel ist die Rückgewinnung des Iran als vertrauensvoller Partner auf der internationalen Bühne.

Große Koalition 2014
Medienarbeit / Presse