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| Ulrich W. Sahm, Jerusalem

Der Tod der alternativlosen Alternative

Die Schotten haben die Unabhängigkeit mehrheitlich abgelehnt. Aber was ist mit Korsen, Basken, Nord-Iren, Kurden und anderen Völkern? Warum haben und hatten die Europäer kein Problem mit einer Aufteilung Belgiens, einer Teilung der Tschechoslowakei und dem Verschwinden der DDR? Wieso sind ausgerechnet die künstlichen Grenzen der arabischen Staaten heiliger als der Zusammenhalt des zerfallenen Jugoslawien?

Die Zwei-Staatenlösung für den Nahostkonflikt wird als alternativlos gehandelt. Die Europäer glauben, dass es für einen Konflikt unbedingt eine Lösung geben müsse und ignorieren, dass es seit dem Zweiten Weltkrieg bis heute keinen Friedensvertrag gibt. Der Euro, die EU und die offenen Grenzen sind zwar toll.

Nur warum verlangen die Europäer für den Nahen Osten einen schriftlichen Friedensvertrag, während sie selber aus guten Gründen dazu unfähig sind?

Genauso zynisch ist der Glaube, dass die Palästinenser unbedingt einen eigenen Staat benötigen oder wollen, nur weil sie den seit 1968 fordern. Und weil sie sich vorher noch gar nicht konstituiert hatten, konnten sie vorher beim besten Willen auch keinen eigenen Staat verlangen. Niemand wäre je auf die Idee gekommen, einem „Volk“, das noch nicht einmal einen Namen hatte, einen Staat aufzuzwingen.

Bis dahin waren sie Araber. Die UNO-Flüchtlingshilfeorganisation UNRWA bezeichnet sie bis heute als Araber und nicht etwa als Palästinenser. Nach der Flucht oder Vertreibung von etwa 750.000 Arabern aus Palästina, hat der Staat Israel sogar noch mehr arabische Flüchtlinge aufgenommen, nämlich alle aus den arabischen Ländern geflohenen oder vertriebenen jüdischen Araber – auch arabische Juden genannt. Warum konnten die einen voll integriert werden, whärend die anderen bis heute gewaltsam mit europäischer Finanzierung künstlich in Lagern gehalten werden?

Für die vermeintlich alternativlose Zweistaaten-Lösung gibt es zahllose gute Argumente auf beiden Seiten. Die Palästinenser wünschen angeblich Freiheit, ein Ende der israelischen Besatzung, ein Verschwinden der Siedlungen und Eigenständigkeit. Ob sie tatsächlich bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und ob sie dann auf die finanzielle Hilfe der EU, Amerikaner oder Japaner als Aufbauhilfe für den künftigen Staat Palästina verzichten wollen, ist fraglich. Denn sobald sie den Staat hätten, könnten sie bestenfalls Entwicklungshilfe wie für Äthiopien, Somalia oder den Kongo verlangen, und die entspräche nur einem Bruchteil der heute in die palästinensischen Gebiete gepumpten Milliarden.

Die notwendigsten Zutaten für einen eigenen Staat haben die Palästinenser längst seit 1994. Sie verfügen über eine eigene Regierung, Polizei, Geheimdienst, ein (aufgelöstes) Parlament, Gesetze und Gefängnisse, Autonummern, ein Telefonnetz mit separater internationaler Vorwahl, Briefmarken usw. Der Gazastreifen ist frei von Juden, Siedlern und sonstigen israelischen Besatzern. Entgegen allen wiederholten Klischees ist der Gazastreifen etwa so groß wie Singapur und weit weniger dicht bevölkert. Die Städte unter palästinensischer Selbstverwaltung im Westjordanland sind geografisch mit israelisch kontrollierten Straßen verbunden.

Dennoch können die Palästinenser innerhalb ihrer Gebiete bauen, abreißen, errichten oder zerstören, was immer sie wollen. Die Behauptung, dass die im Westjordanland verstreuten israelischen Siedlungen ein Hindernis für die Entwicklung dieses Gebietes bedeuten, kann mit vielen Fakten widerlegt werden. Niemand hat je behauptet, dass die zahlreichen in ganz Israel verstreuten arabischen Dörfer und Städte wie Jaffo, Ramle, Umm el Fachem, Akko oder Nazareth den Aufbau des jüdischen Staates behindert hätten.

Im Gegenteil! Wegen ihrer politisch durchaus umstrittenen Siedlungen haben die Israelis eine teure Infrastruktur geschaffen für Strom, Wasser und Straßen, von der auch die Palästinenser profitieren. Man muss nur mal die hunderte Dörfer ohne Wasseranschluss vor 1967 unter jordanischer Herrschaft und heute zählen.

Und falls gewisse israelische Siedlungen am Ende doch stören für die Errichtung eines zusammenhängen und vor allem judenfreien Staates, so hat Israel schon zwei Mal, 1982 im Sinai und 2005 im Gazastreifen sowie im Norden des Westjordanlandes bewiesen, dass Siedlungen auch geräumt und abgerissen werden können.

Was die Palästinenser daran hinderte, in den von ihnen verwalteten Gebieten ein blühendes und vor allem friedliches Staatswesen zu errichten, war vor allem ihre Sucht, Israel mit Terror und blutigen Anschlägen zu überziehen oder mit Raketen zu beschießen. Ohne zu erklären, wieso die Hamas den jüngsten Krieg angezettelt und mit 15 gebrochenen Waffenstillständen unnötig in die Länge gezogen hat, wussten die Palästinenser genau, dass Israel diese Angriffe nicht stillschweigend hinnehmen, sondern hart zurückschlagen würde.

Nicht nur wegen dieses kriegerischen Kreislaufes darf man fragen, ob die Palästinenser wirklich an einem eigenen Staat interessiert sind, oder ob es ihnen nur darum geht, Israel zu bekämpfen und am Ende zu zerstören. Dieses Ziel hat sich die Hamas ausdrücklich in ihrer Gründungscharta gesetzt, wo schon Jahrzehnte vor der Organisation IS von einem islamischen Kalifat anstelle des „zionistischen Gebildes“ die Rede ist.

Mit dem Gazakrieg und seinen innenpolitischen Verwicklungen unter den Palästinensern ist eine Versöhnung zwischen beiden Kontrahenten, der Fatah- und der Hamas- Partei, in weite Ferne gerückt. An Neuwahlen ist in nächster Zeit nicht zu denken und auch die Gemeinschaftsregierung hat keine echte Gemeinsamkeit gebracht. Die öffentlichen Hinrichtungen von Fatahleuten in Gaza und die Verhaftung von Hamasleuten im Westjordanland haben die Kluft noch vertieft.

Die hohe Erwartung der Hamas, mit dem Krieg ein Ende der so genannten Blockade und eine Öffnung der Grenzen, vor allem nach Ägypten, zu erlangen, dürfte einen weiteren Rückschlag erlitten haben. Hätten sich die Hamas seit ihrem Putsch 2007 und die von ihr verwalteten 1,8 Millionen Menschen allein auf Fortschritt, Handel, Industrie und Wohlstand konzentriert, gäbe es weder für Ägypten noch für Israel einen triftigen Grund, den Gazastreifen in ein Freiluftgefängnis zu verwandeln und dessen Grenzen hermetisch abzusperren.

Umfragen aus jüngster Zeit haben ergeben, dass die Popularität des demokratisch ohnehin nicht mehr legitimierten Präsidenten Abbas auf nur 39 Prozent gesunken ist, während die radikal-islamistische Hamas sogar im Westjordanland heute über 80 Prozent Zuspruch erhielte. Allein dieser Fakt bedeutet, dass eine sehr große Mehrheit der Israelis heute wohl kein Verlangen mehr nach einem Friedensschluss mit einem faktisch machtlosen Abbas hat, während die Mehrheit der Palästinenser sich hinter die Hamas stellt. Sollte die nämlich auch im Westjordanland die Macht übernehmen, könnten oder müssten sich die Israelis darauf einstellen, rundum mit Kurzstreckenraketen und Mörsergranaten beschossen zu werden.

Israels Linke behaupten, dass ein jüdischer Staat nur bestehen könne, wenn er die Palästinenser abstoße und in die Unabhängigkeit entlasse. Andere sehen die „demografische Gefahr“ erst in ferner Zukunft. Die palästinensischen Flüchtlinge, über den Libanon, Syrien, Jordanien und die Palästinensischen Autonomiegebiete verteilt, gelten als eines der schwierigsten ungelösten Probleme des mittleren Ostens. So wie die Europäer sich die Zwei- Staatenlösung als alternativlose Lösung vorstellen, könnte man meinen, dass auch die Palästinenser an einer Lösung interessiert seien.

Nun kam aus Ägypten ein überraschender, jedoch wenige Tage später dementierter Vorschlag, den Palästinensern im Norden des Sinai ein 12.000 Quadratkilometer großes Gebiet zu überlassen, in dem alle Flüchtlinge angesiedelt werden könnten und mit einem Seehafen ein „Singapur des Nahen Ostens“ errichten könnten. Die Tage bis zum ägyptischen Dementi reichten, die palästinensischen Reaktionen zu diesem mutmaßlichen Versuchsballon zu hören. Die Idee wurde heftig zurückgewiesen.

Das Problem der Flüchtlinge müsse in Palästina, also letztlich in Israel, gelöst werden, und nicht im benachbarten Sinai. Anders formuliert: Die Palästinenser suchen nicht nach Lösungen für die Menschen, sondern kennen nur ihre politischen Ziele. Und genau die würden mit der Zwei-Staatenlösung nicht gelöst werden.

© Ulrich W. Sahm für Audiatur-Online, mit freundlicher Genehmigung

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