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| Johannes Gerloff, israelnetz.com

Schneller als der Messias

Jerusalems neue Straßenbahn

Aller üblen Nachrede zum Trotz war sie letztendlich doch eher da als der Messias: Die Jerusalemer Straßenbahn, die erste im Heiligen Land überhaupt. Erste Pläne für eine Straßenbahn in der Heiligen Stadt hatte der griechisch-libanesische Ingenieur George Franjieh bereits im Jahr 1892 entworfen.

Baubeginn war dann aber erst 110 Jahre später, im Jahr 2002. 2010 konnte man mit ersten Tests beginnen. Manch Böswilliger munkelte, keine Straßenbahn der Welt sei so lange probegefahren worden. Bis zuletzt hielt sich hartnäckig das Gerücht: Der Messias kommt, bevor in Jerusalem eine Straßenbahn fährt. Immerhin fünf Jahre lag der Straßenbahnbau hinter der Planung zurück. Doch dann, an jenem denkwürdigen Freitagmorgen, dem 19. August 2011, durfte die Jerusalemer Öffentlichkeit endlich die letzte Neuigkeit der uralten Stadt in Gebrauch nehmen. Mehr als 40.000 Jerusalemer sollen die Straßenbahn, die vom Herzlberg – auf der Straßenbahnanzeige „Hertzel“ geschrieben – bis nach Pisgat Zeev im Norden der Stadt fährt, am ersten Tag ausprobiert haben. 14 Züge waren auf der 13,8 Kilometer langen Strecke mit einer Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h im Einsatz.

Kurz vor Inbetriebnahme der Bahn kollabierte dann noch das vollcomputerisierte Ticketsystem. Die Reparatur wird mindestens einen Monat in Anspruch nehmen. Kurzerhand entschied die Betreiberfi rma CityPass in Absprache mit Regierung und Stadtverwaltung, dass die Verkehrsneuheit in den ersten Wochen kostenlos fährt. In jedem Waggon fährt ein Schaffner mit, der den straßenbahnunerfahrenen Jerusalemern genau erklärt, wie man richtig Straßenbahn fährt: „Bitte festhalten!“ Und: „Lehnen Sie sich nicht an die Tür!“ Auf die Frage, was denn passieren würde, wenn man sich während der Fahrt an die Tür des sich so hochmodern gebenden Gefährts lehnen würde, meint der Experte toternst: „Dann wird die Notbremse in Gang gesetzt.“

Das Verkehrministerium soll völlig neue Verkehrsregeln für die Straßenbahn erlassen haben, die allerdings offensichtlich noch ins Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer sickern müssen. Ein Vater aus dem ultraorthodoxen jüdischen Viertel Mea Schearim steigt zu. Staunend betrachtet er die neueste technische Errungenschaft seiner Heimatstadt von Innen und vergisst darüber seine Kinder. Fröhlich turnen diese im Gestänge, als die nagelneue Straßenbahn mit einem unsanften Ruck an der nächsten Station anhält. Die Kinder purzeln zwischen die Füße der Fahrgäste. Festhalten will gelernt und die Notwendigkeit dafür erfahren sein – und auch die frischgebackenen Straßenbahnführer müssen noch lernen, wie man fahrgastfreundlich anfährt und wieder anhält.

Vor dem Damaskustor drängt eine Gruppe von muslimischen Pilgern über die Gleise. Immerhin ist Fastenmonat Ramadan und der Muezzin ruft vom Haram Asch-Scharif, dem Tempelberg, zum Gebet. Eine Gruppe von Polizisten steht bereit, welche die Frommen auf die Bedeutung der roten Ampel hinweist. Erschrocken weichen die Araber zurück – gerade noch rechtzeitig, bevor die gigantische Silberschlange vorbeizischt und durch ein sanftes Klingeln ihre Vorfahrt erzwingt. An der nahe gelegenen Haltestelle verteilen junge Araber Werbematerial, das dem alteingesessenen Jerusalemer die Vorteile der „Rakevet Kalah“, der „Leichtbahn“ erklären soll. „Sie müssen sich eine Genehmigung holen, um mit mir reden zu dürfen!“, erklärt die hübsche Palästinenserin nachdrücklich: „Sonst dürfen wir nicht mit Ihnen reden!“ Auch das ist erstmalig.

Lesen Sie den ganzen Artikel in der Ausgabe 3/2011.

Jerusalems neue Straßenbahn
Medienarbeit / Presse