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| zwei Schülern aus Sachsen

Sächsische Schüler besuchten Jerusalem

Zwei der Schüler waren so freundlich, ihre Reiseeindrücke exklusiv für „Zum Leben“ aufzuschreiben.

Die Schülerin Karin Gräßer schrieb:

Von den Konflikten in Israel und den Spannungen zwischen den verschiedenen Religionen wird in den Medien nur wenig berichtet. Es muss gekürzt und aussortiert werden, denn für die Krisensituationen der ganzen Welt reichen 15 Minuten Nachrichten nicht aus. In Jerusalem, der Stadt des Friedens, vor Ort zu sein und es hautnah zu erleben, kann einem die Grausamkeit und die Situation für die Menschen erst richtig vor Augen führen. So auch zu unserer Jugendbegegnung in Jerusalem. Uns wurde bereits vor der Reise gesagt, dass wir als deutsche Touristen in Israel keine Angst zu haben bräuchten, da es ja nicht um uns gehe.

Ich hätte nie geglaubt, dass man im Muslimischen Viertel herzlich willkommen geheißen wird, nur weil Deutschland mit Hitler und der Judenverfolgung in Verbindung gebracht wird.

Da kommt man schon zum Nachdenken. Als wir ca. zehn Minuten nach einem Anschlag an den Tatort kamen, wurde mir klar, dass wir in Deutschland gar keine Ahnung haben, wie gut es uns geht und dass der Frieden keine Selbstverständlichkeit ist. Am Damaskustor hatte die Polizei drei Palästinenser erschossen. Sie wollten sich nicht kontrollieren lassen, da sie Rohrbomben für einen Anschlag dabei hatten. Während der eine vorgab, seinen Ausweis zu zeigen, eröffneten die beiden anderen das Feuer auf die Grenzpolizisten und griffen sie mit Messern an, wobei eine junge, 19-jährige Polizistin, die erst zwei Monate vorher ihren Dienst begonnen hatte, von einem der Terroristen tödlich am Kopf getroffen wurde.

Ein Araber in der Nähe des Geschehens erklärte uns, was vorgefallen war und brachte zum Ausdruck, dass er stolz auf die Jugendlichen sei, die für Allah ihr Leben gegeben hätten und dass er es gern gefilmt hätte. Bei dieser Aussage ging uns der Mund vor Fassungslosigkeit nicht zu. Als der Mann erfuhr, dass wir Deutsche seien, freute er sich und „grüßte“ uns mit dem Hitlergruß. Spätestens jetzt hatte jeder die Ernsthaftigkeit der Situation und den Hass vieler Muslime auf die Juden deutlich verstanden. Mir war unwohl, weil ich als Deutscher nicht mit Hitler in Verbindung gebracht werden wollte; und schon gar nicht sah ich mich mit ihm in seiner Überzeugung und dem Hass gegenüber Juden verbunden.

Ganz anders geartet, aber ebenso interessant waren die Begegnungen mit israelischen Jugendlichen in Jerusalem. Gemeinsam verbrachten wir einen Tag in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Besonders beeindruckend empfanden viele in unserer Gruppe das Tal der Gemeinden, ein Labyrinth aus Sandsteinquadern, in die die Namen der in der Schoah vernichtetet jüdischen Gemeinden eingraviert sind. Dort sind auch die Namen von Plauen und anderen sächsischen Städten in Deutsch und Hebräisch zu lesen. Das lieferte uns viel Gesprächsstoff über die Auswirkungen des in deutschem Namen begangenen Massenmordes an 6 Millionen europäischen Juden, über den Glauben und die Existenz Gottes und auch einfach über eigene Ansichten.

Mir fiel auf, dass die israelischen Jugendlichen zum Teil gar nicht wussten, wie sie mit den Geschehnissen des Holocausts umgehen sollten. Sie machten Witze darüber und fragten uns ungläubig, wie wir uns dafür schuldig fühlen könnten – es würde uns ja nicht mehr betreffen. Außerdem waren einige der Überzeugung, dass durch den Holocaust ganz klar bewiesen werde, dass es keinen Gott gebe, denn er habe sein Volk im Stich gelassen und nicht errettet. Die Auseinandersetzung mit der Thematik half mir, die anderen besser kennen zu lernen und zu verstehen. Nach dem Besuch in Yad Vashem gingen wir auf den Herzl-Berg, der ein Ort des Gedenkens an die gefallenen Soldaten ist. Auch hier stießen wir auf unterschiedliche Auffassungen. Die israelischen Jugendlichen erzählten uns, dass sie später einmal alle in die israelische Armee gehen werden.

Einerseits, da in Israel eine dreijährige Wehrpflicht besteht, andererseits, da sie es als ihre Pflicht ansehen, ihr ständig bedrohtes Land zu beschützen, auch im Wissen, es könnte ihnen ihr Leben kosten. Für uns Deutsche war das unvorstellbar, doch die offenen Gespräche und das Kennenlernen einer völlig neuen Kultur hat eine gute Gemeinschaft geschaffen und es kamen gute Gespräche zustande. Die anfänglichen Vorurteile wurden beseitigt und man hat den anderen kennen und in seiner Ansicht und seinem Verhalten schätzen gelernt. Der tägliche Gottesdienst hat der Reise eine gewisse Sicherheit und Grundlage gegeben, mit der wir dieses Land mit Gottes Gegenwart kennenlernen konnten.

Alles in allem hat mir die Reise eine neue Sichtweise auf die Konflikte der Welt gegeben. Es ist nicht nur ein kurzer Clip, der bei der Tagesschau läuft, sondern es sind schreckliche Minuten für ein Land und für die Menschen, die dort leben. Es sollte für uns Deutsche, die noch frei auf die Straße gehen können, ohne eine Schutzweste tragen zu müssen, kein fernes Geschehen sein, das sich weit weg von uns zuträgt und es dadurch wieder vergessen wird. Es sollte uns klar machen, dass Hass und Gewalt keine Lösung sind. Es sollte uns zum Nachdenken bringen, wie wir persönlich etwas dagegen tun können, wie wir vielleicht auch mit den Menschen umgehen sollten, die aus solchen Ländern fliehen und nach den Ursachen für Hass und Gewalt fragen. Vor allem aber sollte es in uns den Wunsch nach weltweitem, echtem Frieden wecken.

Der Schüler Henning Wolff schrieb: 

Am 31. Januar trafen sich 13 Jugendliche am Dresdner Flughafen, um die Reise ihres Lebens anzutreten – nach Jerusalem. Wir sind Schüler der 11. Klasse von drei verschiedenen Schulen aus dem Umkreis Plauens. Der wohl wichtigste Grund nach Jerusalem zu fahren, war das Interesse an der Stadt des Ursprungs von so Vielem. Auch in der Schule lernten wir Weltreligionen kennen, aber mit dem Besuch in Jerusalem bekamen wir die Chance, die Ursprünge von Judentum und Christentum hautnah zu erleben.

Das Interesse war natürlich riesig. Erwartet hatten wir viele neue Erlebnisse und ein Abenteuer oder zumindest etwas in diese Richtung. In Deutschland dachte man von Jerusalem schon beinahe kindisch an eine flache, in der Wüste versunkene, altmodische Stadt. Diese Erwartung erfüllte sich nicht, da wir auf einen Ort getroffen sind, an dem es schwer fällt, sich die geschichtlichen Ereignisse vorzustellen. Jerusalem ist eine Stadt der Gegensätze und Unterschiede, eine Stadt in der Ausgrabungsstätten neben stark befahrenen Hauptstraßen liegen und der Kreuzweg von Jesus Christus in Einkaufsstraßen des Muslimischen Viertels versinkt.

Keiner der Tage, die wir erlebt haben, glich einem anderen und trotzdem hatten sie alle dasselbe Muster. Aufgestanden wurde zu einer noch humanen Zeit, um 7.00 Uhr, und im Anschluss dazu folgte der morgendliche Gottesdienst in der hauseigenen Kapelle des Deutschen Hospizes in der Lloyd George Street. Diese Gottesdienste entwickelten sich zu einem der wichtigsten Elemente unserer Reise. Am Montag diente er noch eher zum Aufbau für mehr Hunger zum Frühstück, doch schon in den nächsten Tagen sollten wir erfahren, wie viel mehr so ein Gottesdienst bedeuten kann. In erster Linie beeindruckten die Orte, an denen wir Gottesdienst feierten.

Zusätzlich zu der wunderschönen Kapelle im Hospiz sangen und beteten wir auch in der St. Anne Kirche, auf dem Zionsberg, in der Gethsemane-Grotte und in der Kapelle „Dominus Flevit“ (Der Herr weint) auf dem Ölberg. Letzteres war besonders beeindruckend, schon wegen der unglaublichen Aussicht in die Landschaft. Auf der Seite des Kidrontals sah man den Tempelberg, auf dem die Moslems während unserer Gebetszeit zur selben Zeit ihr Freitagsgebet hielten. Man konnte den Gesang des Imams perfekt und unüberhörbar auf dem Ölberg vernehmen, wozu wohl zu einem großen Teil die starken Lautsprecher beitrugen.

An einen anderen Gottesdienst, in der St. Anne Kirche, werden wir uns wohl noch lange erinnern. Geplant war dieser eigentlich nicht, da wir uns zu diesem Zeitpunkt ursprünglich mit Abgeordneten aus der Knesset treffen wollten. Unterbrochen wurde diese Planung durch einen schrecklichen Zwischenfall. Ungefähr zwei bis drei Minuten Fußweg von uns entfernt kam es am Damaskustor, welches auf unserem Weg lag, zu einem Attentat. Drei palästinensische Jungs in unserem Alter hatten geplant, sich mit Bomben in die Luft zu sprengen. Als eine Polizistin, die deren auffälliges Verhalten beobachtet hatte, die Dokumente der Jungs kontrollieren wollte, wurde sie angegriffen. Eine 19-jährige Kollegin, die ihr zur Hilfe eilte, wurde tödlich verletzt. Auch die drei Jungen kamen durch Schüsse der Polizei zu Tode.

Ich denke, dass wir erst in diesem Moment realisiert haben, dass wir uns in einem komplett anderen Teil der Welt befinden. Bis zu diesem Zeitpunkt ähnelte Jerusalem in vielen Teilen einer deutschen Großstadt, und am vierten Tag unserer Reise erlebten wir, wo der große Unterschied liegt. Aufgrund des nun versperrten Weges plante unser Reiseleiter, Pfarrer Falk Klemm, blitzschnell das Programm um und wir begaben uns durch das Muslimische Viertel zum französischen Staatsgebiet, nämlich der St. Anne Kirche. Nach einem kurzen Gespräch mit einem Bruder von den „Weißen Vätern“, die die Kirche unterhalten, konnten wir dort einen kleinen Gottesdienst halten. Der war natürlich den Opfern des Anschlags und deren Angehörigen gewidmet. In solchen Momenten schwirren einem die verschiedensten Fragen im Kopf herum.

Wie kann so viel tiefgründiger Hass zwischen Menschen und Religionen bestehen, die doch alle von Frieden sprechen?

Wie kann es sein, dass es immer noch keine politische Lösung im Konflikt der Palästinenser mit den Israelis gibt? Mich hat vor allem beschäftigt, was in dem Leben eines Menschen passiert sein muss oder was in seinem Kopf vorgeht, wenn ein Jugendlicher meines Alters bereit ist, eine solche Tat zu verüben. In welch krankem System muss er groß geworden sein? Hier half uns der Gottesdienst, um innere Ruhe zu finden und um das Erlebte zu verarbeiten, jeder für sich: Frieden in der Andacht und im Gebet finden, wenn Hass und Mord herrschen. Als ich mir Tage später im Flugzeug dieselben Fragen stellte, kam ich zu der Erkenntnis, dass es unmöglich ist, als außenstehender Deutscher über die Situation in Israel zu urteilen. Der Mensch kann es, denke ich, nur dann verstehen, wenn er diese Angst tagtäglich als Einwohner erlebt, egal ob auf palästinensischer oder israelischer Seite.

Unsere Abende verbrachten wir mit den Israelischen Jugendlichen aus dem Jugenddorf Hanoar Hasioni. Diese Jugendbegegnung war ein sehr wertvolles Erlebnis. Ich konnte es mir kaum vorstellen, aber in dieser unglaublich kurzen Zeit, die wir gemeinsam hatten, entstanden tatsächlich wirkliche Freundschaften. Diese Verbundenheit machte den Abschied am Freitag umso schwerer. Gemeinsam haben wir Partyspiele gespielt und versucht, die jeweils andere Sprache zu lernen, was nur bedingt funktioniert hat. Es war interessant zu erfahren, wie die Jugendlichen die Welt sahen, was sie zum Beispiel auch von Deutschland wussten. Am „Deutschen Abend“, den wir für sie vorbereitet hatten, haben wir ihnen sogar einen Walzer beigebracht.

Gemeinsam besichtigten wir die Holocaustgedenkstätte Yad Vashem und anschließend den jüdischen Friedhof auf dem Herzl-Berg, auf dem es auch zu hitzigen Diskussionen über die jüdische Siedlungspolitik kam. Ich denke, fast jeder weiß, dass das Thema Holocaust im deutschen Geschichtsunterricht auf keinen Fall zu kurz kommt. Deswegen dachten wir anfangs, dass uns nichts mehr überraschen könne. Wir wurden eines Besseren belehrt, vor allem als wir in ein Gespräch mit einer Zeitzeugin kamen. Die ältere Dame hat das Konzentrationslager Treblinka in Polen überlebt. Dort verlor sie ihre Familie. Im weiteren Verlauf ihres Lebens hatte sie sechs verschiedene Mütter. Kein Geschichtsunterricht hätte uns zeigen können, was sie uns an Geschichten erzählte und an Gefühlen gab. Unglaublich, wozu Menschen fähig sind. Und das vor gerade einmal 71 Jahren. Doch besonders in solchen Momenten sollte man in die Gegenwart schauen und sehen, dass wir immer noch Krieg führen, dass auf der Welt immer noch Religionshass und Rassismus herrschen und dass in vielen Jahren Leute über uns urteilen werden, so wie wir jetzt über das „Dritte Reich“ urteilen.

Ich habe nun über tausend Wörter geschrieben und trotzdem das Gefühl, als hätte ich noch nichts gesagt. Diese Reise war eines der erkenntnisreichsten Erlebnisse unseres noch jungen Lebens und dafür sind wir unendlich dankbar. Wir waren zu Gast in einer Stadt, in der sich Jesus und seine Jünger vor 2000 Jahren bewegten, schritten dieselben Wege, daran denkend, wie wichtig die Ereignisse und die Botschaft vor 2000 Jahren waren und heute sind!

Ohne die endlos kompetente Führung durch Herrn Pfarrer Klemm und die Begleitung durch Herrn Bezirkskatecheten Neumann wäre all das nicht möglich gewesen, wofür wir noch lange dankbar sein werden. Wenn man an die Reise zurückdenkt, erfüllt mich das Erlebte mit Freude. Ich denke an das neu gewonnene Wissen und an die neu gewonnenen Freundschaften und ich denke an Fußschmerzen, aufgrund der unzähligen Kilometer und an das Gefühl der Anspannung, in einer der wohl spannendsten Städte der Welt.

Die „LeChaim - Zum Leben“-Redaktion dankt den Urhebern sehr herzlich für die beiden Texte und für die Fotos.