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Regierungsbildung in Israel erneut gescheitert

Zwei Stunden nach Ablauf der Frist für den politisch unerfahrenen Ex-Generalstabschef Benny Gantz, eine Regierung in Israel eine Regierung zu bilden, unterbrachen die Verhandler mit dem Team von Übergangspremier Benjamin Netanjahu ihre erfolglosen Gespräche, um sie am Donnerstagmorgen fortzusetzen. Die Blau-Weiß-Partei von Gantz hat sich inzwischen fast aufgelöst und wirft Netanjahu vor, auf einen vierten Wahlgang innerhalb eines Jahres hinzuarbeiten.
Netanjahu will Gesetze verhindern, die ihm verbieten könnten, nach Beginn eines Prozesses wegen Veruntreuung und Bestechung weiterhin Premierminister zu bleiben. Eine Anklageschrift wurde schon eingereicht. Aber weil alle Gerichte in Israel wegen der Corona-Krise geschlossen worden sind, konnte sie noch nicht verlesen und von einem Richter angenommen werden. Anders als sonst berichtet ist Netanjahu also noch nicht formal angeklagt worden.
Seit über einem Jahr steht er an der Spitze einer Übergangsregierung. Das hat den Vorteil, von keinem parlamentarischem Ausschuss überwacht zu werden. Er kann sich jegliche politische Fehler leisten, weil er zur Zeit „unstürzbar“ ist. Damit hat er mehr Vollmachten als ein regulär gewählter Regierungschef. Gleichzeitig bedeutet aber dieser Zustand, dass seine Regierung keinen neuen Staatshaushalt vorbereiten und vom Parlament absegnen lassen kann. So kann er jeden Monat nur ein Zwölftel des 2018 entstandenen Staatshaushaltes für 2019 zur Finanzierung der notwendigen Ausgaben verwenden. Doch 2018 gab es noch nicht den Corona-Virus, der auch in Israel zugeschlagen hat. Die meisten Arbeitnehmer im Land sind inzwischen arbeitslos oder befinden sich im „unbezahlten Urlaub“. Um Gelder freizumachen, hat Netanjahu zum Beispiel den israelischen Diplomaten in aller Welt die Spesen gestrichen. Die sitzen nun in allen Winkeln der Welt fest, können sich nicht einmal mehr ein Taxi zur Heimfahrt leisten und ihre Gesprächspartner nur noch auf eigene Kosten zu einer Tasse Kaffee einladen. Das hat auch Folgen für die Koalitionsverhandlungen. Niemand reißt sich mehr um den Posten des einst so prestigereichen Außenministers und selbst Netanjahu ist bereit, auf diesen inzwischen „überflüssigen“ Job zu verzichten.
Noch hat Staatspräsident Reuven Rivlin nicht verraten, wie es weitergehen soll. Angedeutet wurde, dass er das Mandat an die Knesset übergeben wolle. Dann müssen sich die 120 Abgeordneten auf einen Kandidaten aus ihren Reihen einigen. Wahrscheinlich würde dann am 27. Mai das Parlament aufgelöst werden, was Neuwahlen im August nachziehen würde… zum vierten Mal innerhalb eines Jahres und ohne Aussicht auf eine klare Wählerentscheidung. Netanjahu würde erneut als Wahlsieger hervorgehen, ohne jedoch die notwendige Mehrheit von 61 Stimmen für die Bildung einer Regierung zu erreichen. Die derzeitige Pattsituation – auf Hebräisch „Plonter“ genannt - würde sich fortsetzen.
Gestoppt und gelähmt wäre dann auch das Bemühen, ein Weg aus der derzeitigen Krise zu finden, eine Erneuerung der wirtschaftlichen Aktivitäten und eine Erneuerung des Schulsystems für über eine Million Schüler und Studenten im Lande. Die sitzen heute in häuslicher Quarantäne, während einer fast kompletten landesweiten Ausgangssperre.
 
(C) Ulrich W. Sahm