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| Johannes Gerloff, Jerusalem

„Je suis Charlie“?

Die Solidaritätsbekundung „Je suis Charlie“ geht um die Welt. Im Munde von Christen ist sie ein Armutszeugnis ihrer Gottvergessenheit. Ein Kommentar von Johannes Gerloff.

Im vergangenen Sommer war ich zum ersten Mal in meinem Leben in Paris. Es hat ein halbes Jahrhundert gedauert. Aber jetzt bin ich selbst schon einmal vom Louvre über die Champs-Élysées vorbei am Arc de Triomphe entlang der Seine zum Eiffelturm spaziert. Meine Teenager-Kinder haben sogar das obligatorische Selfie auf dem Platz vor der Notre Dame-Kathedrale absolviert.

Bei alledem habe ich mich gefühlt wie Gott in Frankreich: Keiner verstand mich. Kein Mensch kannte mich. Niemand wollte etwas von mir wissen. Ich bin nämlich des Französischen nicht mächtig.

Das ist aber weiter nicht schlimm – vermittelte mir jedenfalls unsere aus Südamerika stammende Wirtin in einem der romantischen Vororte von Paris, bei der wir ein hervorragendes „Bed and Breakfast“ (Übernachtung mit Frühstück) genossen. Die nette Dame beherrschte zwar selbst einige Sprachen, aber keine einzige von denen, die in unserer Familie gebräuchlich sind.

Wie gesagt: Kein Problem! Sie zückte ihr „smartes“ Fernsprechgerät, erzählte dem, was sie uns zu sagen hatte, drückte auf den Touchscreen – und schon quäkte eine nette Stimme die ersehnte Information in einer uns verständlichen Sprache. Dank einer Internet-Übersetzungsseite lautet das Evangelium des 21. Jahrhunderts: Nach fünf Jahrtausenden Verwirrung haben wir Babylon endlich im Griff. Der Bau des Turms kann fortgesetzt werden!

Deshalb wage ich auch, meine Gedanken zu einem Satz zu äußern, der zwar in aller Munde, aber leider Französisch ist: „Je suis Charlie“ („Ich bin Charlie“). Dazu ermutigt mich zudem, dass offensichtlich noch mehr Zeitgenossen glaubwürdige Übersetzer brauchen, um die europabewegenden Vorgänge der letzten Tage verstehen zu können. Das zeigt die Flut von Kommentaren zu den Anschlägen von Paris. Besagte Übersetzungsseite kann nämlich Arabisch übersetzen. Aber bei islamischem Denken müsste das Werkzeug, wenn es ehrlich wäre, schleunigst abstürzen.

Die Attentäter von Paris haben mit „Charlie Hebdo“ einen besonders schmerzempfindlichen Nerv der Grande Nation getroffen. Anders ist nicht erklärbar, dass ausgerechnet jetzt Millionen von Europäern gemeinsam auf die Straßen gehen, um zu verkünden: „Je suis Charlie!“

Es können nicht nur die 17 Toten sein. Immerhin durchleben wir momentan eines der blutigsten Jahrzehnte der Menschheitsgeschichte. Es kann auch nicht die Tatsache sein, dass uns die elektronischen Medien so gut vernetzen. Noch nie wurde so vielen Menschen vor laufender Kamera die Kehle durchtrennt. Und noch nie konnte man das so hautnah und weltweit synchron miterleben.

Der Millionenmarsch von Frankreich kann auch nicht als Aufbäumen gegen die Einschränkung der Rede- oder Pressefreiheit verstanden werden. Sonst wären die Massen schon längst auf die Barrikaden gegangen, als in vergangenen Jahren christliche Missionare in der Türkei oder im Jemen umgebracht wurden. Damals plädierten westliche Journalisten um Verständnis dafür, dass das eine Provokation für Muslime sei. Wäre das bei „Charlie Hebdo“ nicht auch ein deeskalierendes Argument?

Die Flammen der brennenden Kirchen im Orient und Nordafrika scheinen zu weit, die Schreie der gequälten Christen sind zu unüberhörbar, als dass die Botschaft des Millionenmarschs von Frankreich missverstanden werden könnte. Und zudem: Wo waren die Millionen, als Europas Juden vergast wurden? Und wo war die Empörung, als arabische Länder ihre Gesellschaften ethnisch von Juden säuberten?

Mit dem Anschlag auf die gotteslästerliche und menschenverachtende Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ wurde das Allerheiligste des gottlosen Frankreich entweiht. Und allein das hat so präzedenzlos Millionen von Europäern auf die Straße und führende Politiker aus mehr als 40 Ländern nach Paris getrieben. Ob die Abwesenheit der Amerikaner und Russen daselbst tatsächlich symptomatisch war, wie ein Reporter in einem Nebensatz bemerkte, bleibt zu analysieren.

Pressefreiheit hat ihre Grenzen

Aber Pressefreiheit hat ihre Grenzen, ja, muss ihre Grenzen haben, etwa wenn es um die Würde des Menschen, die Würde des Andersdenkenden und die Würde von Andersglaubenden geht. Gerade weil mir daran liegt, dass Muslime zur Erkenntnis der Wahrheit kommen, würde ich niemals das in den Dreck ziehen oder auch nur lächerlich machen, was ihnen heilig ist. „Charlie Hebdos“ Umgang mit dem, was Anderen wert und kostbar ist, ist schlicht menschenverachtend. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ wurde mir in der Schule vermittelt. Dazu stehe ich!

Redefreiheit muss an eine Grenze stoßen, wenn es um die Wahrheit geht. Wenn Israels Premierminister Benjamin Netanjahu und der palästinensische Präsident Mahmud Abbas Arm in Arm in die gleiche Richtung marschieren, ist jedem, der auch nur einen Funken Ahnung vom israelisch-palästinensischen Konflikt hat, klar, dass die Wahrheit mit Füßen getreten wird. Dass sich François Hollande und Angela Merkel dazwischen untergehakt hatten, macht die Sache nur noch schlimmer, weil sich diese europäischen Spitzenpolitiker dadurch zu Komplizen der öffentlich propagierten Lüge gemacht haben.

Wie verlogen der Millionenmarsch von Paris war, zeigt am deutlichsten die Teilnahme der Politiker aus islamischen Ländern. In keinem einzigen der von diesen Leuten repräsentierten Staaten herrscht auch nur annähernd die Pressefreiheit, die das Bekenntnis „Je suis Charlie“ einfordert. Offiziell hat sich, nach meiner Wahrnehmung, niemand getraut, das zur Sprache zu bringen.

Haben die Terroranschläge nichts mit dem Islam zu tun?

Und dann ist da die Aussage, dass die jüngsten Terroranschläge von Paris nichts mit dem Islam zu tun hätten. Dass diese Formel so oft wiederholt wird, macht sie nicht richtiger. Wenn Sie mir nicht glauben, fragen Sie jeden beliebigen Muslim, der seinen Glauben ernst nimmt und tatsächlich fünf Mal am Tag betet. Erklären Sie ihm, dass Ihnen an der Wahrheit liegt, dass Sie nichts als die Wahrheit zu erkennen wünschen und nur dem allein wahren Gott dienen wollen. Und dann bitten Sie ihn, Ihnen mit der Hand auf dem Koran im Namen Allahs, des Allerbarmers, zu erklären, wie das Schicksal der Karikaturisten von „Charlie Hebdo“ aus islamischer Sicht zu beurteilen ist.

Tatsache ist, dass die Vorgänge um die französische Satirezeitschrift ausschließlich mit dem Islam zu tun haben. Ohne den Islam hätten die Satiriker nichts zu zeichnen gehabt. Und ohne Islam hätte ihnen wohl niemand ein Haar gekrümmt. Wir sollten uns der Wahrheit stellen und aufhören, den Islam als Religion der Liebe und des Friedens zu verunglimpfen. Liebe hat noch nie zu den Attributen Allahs gehört und Friede war noch nie eine Tugend, wenn damit ein Friedhofsfrieden für Querdenker impliziert ist. Dafür haben Muslime eine Ahnung davon, dass der Schöpfer des Himmels und der Erde ein heiliger Gott ist, dessen Namen man nicht ungestraft verhöhnt. Und damit komme ich zum letzten Punkt.

Die Freiheit der öffentlichen Äußerung sollte zumindest für Christen, die ihren Glauben ernst nehmen – gemeinsam mit gläubigen Juden und Muslimen – da an eine Grenze stoßen, wo sie zur Gotteslästerung wird. Die Karikaturisten von „Charlie Hebdo“ haben mit ihren Waffen ganz genau so gewütet, wie Cherif Kouachi, Said Kouachi und Amedy Coulibaly mit den ihren. Das zu schreiben rechtfertigt das furchtbare Massaker von Paris keineswegs. Aber als Opfer eines Terroranschlags werden Gotteslästerer noch lange nicht zu Heiligen und Märtyrern. Dabei darf und soll mit diesem Zwischenruf in keiner Weise Kritik am so genannten „Bodenpersonal Gottes“ abgewürgt werden. Tatsache ist jedoch, dass man sich als Journalist heute leichter eine Klage wegen Beleidigung von Kirchenoberen einholt, als einen missbilligenden Blick aufgrund von respektlosen Äußerungen über den lebendigen Gott und sein Wort – und beides ist tunlichst zu unterscheiden!

Das millionenfache „Je suis Charlie“ des säkularen und von seiner Nabelschau besessenen Europa ist ein Schlag ins Gesicht der Millionen von jüdischen, christlichen, jesidischen und anderen Märtyrern, die sich im zurückliegenden Jahrhundert und bis in die Gegenwart hinein als ignoriert und nicht selten verachtet empfinden. Fragen Sie die Flüchtlinge, die dieser Tage an die Türen Europas klopfen. Aber erbitten Sie zuvor eine offen-ehrliche und keine orientalisch-höfliche Antwort! „Je suis Charlie“ im Munde von Christen aber ist ein Armutszeugnis ihrer Gottvergessenheit. Wer auch nur einen Funken Ahnung von der Heiligkeit des lebendigen Gottes hat, kann diesen Satz niemals mitsprechen.

„Je suis Charlie“-Plakat
Das „Je suis Charlie“-Plakat hing während eines Solidaritätstreffens im Januar auf der Place du Luxembourg in Brüssel.<br/>
Medienarbeit / Presse