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| Nwz-Gastkolumne zu Deutschland und Israel Nach der Wahl von Arye Sharuz Shalicar

Ist Deutschland in den Neunzigern hängen geblieben?

Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel hat Israel nach den Wahlen ermahnt, weiter an einer Zweistaatenlösung zu arbeiten. Das klingt gut – ist aber realitätsfremd, schreibt NWZ-Kolumnist Arye Sharuz Shalicar.

Jerusalem I Man könnte annehmen, dass Angela Merkel und Benjamin Netanjahu sehr unterschiedlich seien. Aber eine gewisse Ähnlichkeit haben sie wahrscheinlich doch, denn sie beide haben es in ihren jeweiligen Staaten, meinen beiden Heimatländern Deutschland und Israel, geschafft, aus vier aufeinander folgenden Wahlen als Sieger hervor zu gehen. Und das obwohl oder gerade weil sowohl Deutschland als auch Israel sich national und international in turbulenten Zeiten befinden. Die Welt verändert sich in einem kaum nachvollziehbarem Tempo. Computer, Roboter, Künstliche Intelligenz, Automatisch betriebene Autos und alle paar Monate eine neue Version des I-Phones. Was meine Kinder heute mit sechs Jahren wissen und können, konnte ich, wenn überhaupt, mit 16.

Arye Sharuz Shalicar ist ein deutsch-iranisch-israelischer Politologe, Publizist und Schriftsteller. Der ehemalige Sprecher der IDF ist heute Mitarbeiter der israelischen Regierung. Sein aktuelles Buch „Der Neu-Deutsche Antisemit“ erschien vor wenigen Monaten. (Foto: privat)

Mit den Veränderungen, die sehr viel Gutes bringen, zum Beispiel im Bereich der Gesundheit oder des Komforts, wachsen auch die Gefahren. Staaten, die nichts Gutes im Sinne haben, nutzen moderne Technologien, um ihre kriminellen Vorteile daraus zu ziehen, um sich besser regional und international zu positionieren. Deutschland und Israel sind sich der wachsenden Gefahren, unter anderem im Bereich der Cybersecurity, nuklearen Anreicherung, ballistischen Raketenentwicklung, international organisierter Kriminalität und Terror, sehr wohl bewusst. Je mehr Zusammenarbeit zwischen westlich-demokratischen Staaten, umso besser, denn die Kehrseite der Medaille ist diese: Faschistische, radikalislamische, kommunistische und autokratische Staaten, sitzen in den Startlöchern, um die Weltordnung auf den Kopf zu stellen.
Doch ein Verhältnis des Vertrauens und eine daraus resultierende gute Kooperation zwischen Staatsoberhäuptern, Politik, Wirtschaft und den Sicherheitsorganen auf allen Ebenen, kann sich nur festigen, wenn man die aktuellen Realitäten und auch Herausforderungen des jeweils anderen wahrnimmt und akzeptiert. Israels Regierung, Sicherheitsorgane und Volk sind sich bewusst, dass Deutschland in den letzten Jahren neuen Gefahren ausgesetzt ist. Nach meinen Erkenntnissen haben israelische Sicherheitsdienste schon mehrmals deutschen Kollegen wichtige Informationen weitergeleitet, die am Ende geholfen haben, Terroranschläge auf deutschem Boden zu vereiteln. Doch frage ich mich immer häufiger, warum Deutschland sich weigert, bestimmte Mega-Gefahren, denen Israel gegenüber steht, zu thematisieren?
Ich frage mich, warum Deutschland einen freundschaftlichen Dialog mit dem Erzfeind Israels, dem totalitären Regime im Iran, das Menschen spurlos verschwinden lässt, foltert, misshandelt, vergewaltigt und sogar am Marktplatz hängen lässt führt? Ich frage mich, warum sich Deutschland weigert, den verlängerten Arm des Iran im Libanon, die Hisbollah, eine brutale Terrororganisation, die sich immer stärker als Staat im Staat breit macht, als Ganzes als Terrororganisation einzustufen, so wie es auch die Briten vor wenigen Monaten getan haben? Und ich frage mich, warum Deutschland in Sachen israelisch-palästinensischer Konflikt in den 90ern des letzten Jahrhunderts hängen geblieben ist?
Wie anders läßt sich erklären, dass die Bundeskanzlerin dem israelischen Premier zum Wahlerfolg gratuliert und ihn „mit Blick auf den Nahost-Friedensprozess“ – ich würde interpretieren – „ermahnt“, dass „die fortgesetzte Bedeutung einer von beiden Parteien zu verhandelnden Zwei-Staaten-Lösung das Ziel der internationalen Bemühungen bleiben müsse“.

In den letzten 25 Jahren haben die Palästinenser zwei von den Amerikanern ausgehandelte Friedensverträge, die von israelischer Seite angenommen wurden, abgelehnt. Im Jahre 2000 unter Arafat und im Jahre 2008 unter dem derzeit nicht gewählten aber regierenden palästinensischen Regierungschef Mahmud Abbas. Statt sich für Frieden zu entscheiden, haben die Palästinenser im Jahr 2000 mit einer Welle von Selbstmordanschlägen begonnen, denen Hunderte Juden zum Opfer fielen und die unter anderem zum Bau des Zaunes zwischen Israel und den Gebieten der Palästinensischen Autonomiebehörde geführt haben. Israel zog sich unter Ariel Scharon im August 2005 aus dem Gazastreifen zurück und machte ihn „judenrein“. Im Gegenzug übernahm die radikalislamische Terrorbewegung Hamas den Streifen und beschoss Israel mit Tausenden Raketen, welches wiederum zu drei Kriegen und Tausenden Toten, Verwundeten und Traumatisierten auf beiden Seiten führte.
Fakt ist auch, dass der palästinensische „Bruderkrieg“ zwischen der in Ramallah sitzenden PLO/Fatah und der in Gaza brutal regierenden Hamas das Haupthindernis ist, um heutzutage überhaupt über die Idee einer Zwei-Staaten-Lösung verhandeln zu können. Was theoretisch richtig klingt und schon 1947 im UN-Teilungsplan beschlossen wurde, ist heute praktisch nicht umsetzbar, weil auf der einen Seite ein moderner demokratischer und jüdischer Staat existiert, der stabil auf eigenen Beinen steht und wirtschaftlich immer stärker wird, während die Palästinenser auf zwei Gebiete (Westjordanland und Gazastreifen) aufgeteilt und gespaltener als je zuvor sind. Um es frei heraus zu sagen: Nicht Israel ist beider Seiten Hauptwidersacher, sondern die Palästinenser würden sich am liebsten gegenseitig die Kehle durchschneiden. Also, von welchen zwei Staaten genau ist hier die Rede?

Diese Situation ist bedauerlich. Doch sollten deutsche Politiker sie verstehen und anerkennen. Die Augen vor der Realität zu verschließen und auf alten Mantras zu pochen, ist nicht nur Realitätsverweigerung sondern gefährlich und führt am Ende nur zu noch mehr Enttäuschung.

Quelle: NwZ-Online

Ihre Organisationen sind sich spinnefeind: Hamas-Begründer Ahmad Yasin (links) und Fatah-Mitbegründer Jassir Arafat (rechts) an einer Wand in Gaza. Bild: DPA
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