Als im Mai die Terrororganisation Hamas Tausende Raketen aus dem Gazastreifen auf die israelische Zivilbevölkerung abschoss, hat der jüdische Staat mit massiven Luftschlägen auf die militärische Infrastruktur der Terroristen geantwortet, um seine Bürger zu verteidigen. Dagegen haben auf deutschen Straßen zahlreiche Demonstrationen von Hunderten Palästinensern, Türken und anderen Muslimen sowie deren deutschen Unterstützern stattgefunden, die in vielen Fällen in blanken Hass gegen Juden und den Staat Israel mündeten. Dem ging in den vergangenen Jahren eine stetig wachsende Zahl antisemitischer Straftaten wie das Skandieren judenfeindlicher und antiisraelischer Parolen, das Verbrennen israelischer Flaggen sowie Angriffe auf Juden und deren Einrichtungen voraus. Viel zu lange haben sich der demokratische Rechtsstaat und die Medien in Deutschland – wie beim jährlichen Al-Quds-Tag – geweigert, die Straftäter richtig zuzuordnen, aus Angst, damit Rechtspopulisten in die Hände zu spielen. Auch islamkritische Stimmen von Migranten aus islamischen Ländern versuchte man eher als „rechts“ zu diskreditieren, um in Sachen Antisemitismus und Clankriminalität in muslimischen Parallelgesellschaften deutscher Großstädte nicht zuhören zu müssen. Doch jetzt sah sich sogar die Innenministerkonferenz genötigt, aus muslimischem Judenhass motivierte Straftaten in der Polizeilichen Kriminalstatistik künftig beim Namen zu nennen.
Einer, der sich mit diesem Antisemitismus nicht nur politisch-analytisch auseinandersetzt, sondern ihn aus jahrelanger eigener Erfahrung kennt, ist der Deutsch-Iraner Arye Sharuz Shalicar. Geboren 1977 in Göttingen als Sohn jüdischer Eltern, die 1970 aus dem Iran nach Deutschland gekommen und 1980 nach Berlin gezogen sind, berichtet er aus den Jahren seiner Schul- und Jugendzeit im Berliner Wedding der 90er Jahre. Im neuen Stadtteil angekommen, findet der fußballbegabte, schwarzhaarige, orientalisch aussehende Teenager schnell neue Freunde, weil sie ihn für einen der Ihren, einen Muslim halten. Sein Vater rät ihm, seine goldene Kette mit dem Davidstern – ein Geschenk seiner Großmutter aus Israel – nicht offen zu tragen. Doch zunächst versteht er weder den Sinn der Mahnung, noch kennt er die Bedeutung des Sterns. Das ändert sich abrupt, als einer seiner langjährigen Freunde wegen dieses Symbols von ihm enttäuscht ist und sich abwendet. Kurz darauf wird er deswegen in der U-Bahn von drei Arabern als „Scheißjude“ und „Drecksjude“ beschimpft. Obwohl Arye die drei nicht kennt, kann er deutlich den Hass in ihren Augen sehen. Doch was bedeutete der Stern. Er will die ganze Wahrheit wissen. Sein Vater klärt ihn auf, was es heißt, Jude zu sein. Neben vielen religiösen Regeln bedeutet es vor allem, von aller Welt gehasst zu werden.
Die Erfahrung, einer Minderheit anzugehören und von der Mehrheit wie Dreck behandelt zu werden, wollten seine Eltern ihren Kindern ersparen. Darum hatten sie den Iran Richtung Deutschland verlassen. Nun musste Sharuz mitten in Deutschlands Hauptstadt erleben, von ehemaligen besten Freunden gehasst zu werden, nur weil er sich als Jude geoutet hatte und kein Muslim war. Und er wird als jüdischer Deutscher immer häufiger auch dafür mitverantwortlich gemacht, dass „die Juden“ den Palästinensern das Land gestohlen hätten. Er wird antisemitisch beschimpft, mit Aufenthaltsverboten für bestimmte Orte belegt und immer wieder mit Gewalt konfrontiert. Dies weckt Erinnerungen an das finsterste Kapitel deutscher Geschichte, das von Shalicars muslimischem Umfeld eher positiv konnotiert wird. Als er auf einem Basketballplatz neue Freunde kennenlernt, wird er gefragt, ob er Muslim sei. Er antwortet, er sei Perser und interessiere sich nicht für Religion. Darauf sagt einer der Mitspieler: „Hauptsache, Du bist kein Jude, der Rest ist uns eigentlich egal.“ Im Laufe der Geschichte tritt Stück für Stück zutage, wie sehr diese muslimische Parallelgesellschaft aus Arabern, Palästinensern, Türken und Kurden eines eint – der ihnen von Kindesbeinen an vermittelte Hass gegen Juden und den Staat Israel.
Um der Gewalt zu entgehen und um endlich irgendwo dazuzugehören, schließt Shalicar sich einer Jugend-Gang an und genießt den persönlichen Schutz von Husseyn, einem aus der Leitungshierarchie der Gang, der kein Problem damit hat, dass Sharuz Jude ist. Doch hat dies einen hohen Preis, nämlich die immer tiefere Verstrickung in Gewalt und Kriminalität. Unter dem Graffiti-Namen „ARO“ ist er der Gründer und Anführer der größten Graffitibande Deutschlands namens „Berlin Crime“. Er wird verhaftet, verurteilt und muss eine Jugendstrafe absitzen. Mit dem Wegzug Husseyns aus dem Wedding fällt auch sein Schutzpatron weg und Sharuz bekommt den Judenhass des islamistischen Milieus nun erneut und umso härter zu spüren. Seine Freundin Janica, das erlangte Abitur und der Grundwehrdienst in der Bundeswehr helfen ihm, den Absprung aus seiner Gang zu finden. Er beginnt, Judaistik zu studieren, um die Geschichte, Kultur, Religion und Sprache des jüdischen Volkes, – seines Volkes – kennen zu lernen. Dort lernt er Dani, einen deutschen Juden, kennen und erfährt von ihm vieles über den alltäglichen Antisemitismus in der für ihn bis dahin weithin unbekannten deutschen Gesellschaft. Je mehr er an der Uni über die jüdische Geschichte und den Nahostkonflikt lernt, gerät er unter seinen Kommilitonen in die Rolle des politisch „rechten“ Juden, der mit seiner Einstellung keinen Frieden erreichen könne. Durch das Studium und die Begegnung mit der Jüdischen Gemeinde Berlin wird er sich immer mehr seiner jüdischen Identität bewusst. Zunehmend identifiziert er sich aber auch mit dem Staat Israel und denkt über die Einwanderung nach Israel – sein Heimatland – nach. Zumal die Berliner jüdische Gemeinde eher russisch als jüdisch geprägt ist und er mit seinem orientalischen Aussehen nicht nur an der Eingangskontrolle jedes Mal wie ein Terrorverdächtiger behandelt wird. Aus diesen und weiteren negativen Erfahrungen mit den europäisch geprägten Juden, die ihn auch ausgrenzen, kann kein Zugehörigkeitsgefühl erwachsen.
Was Sharuz sucht, findet er während eines achtmonatigen Aufenthalts im Kibbuz Palmachim in Israel. In Israel kann er – bei aller Vielfalt an Prägungen und Lebensstilen – Jude unter Juden sein. Endlich hat er den Platz gefunden, wo er sich zugehörig fühlen darf. Er lernt Hebräisch und probiert als säkularer Jude aus, was es bedeutet, koscher zu essen, den Schabbat zu feiern und dazu die Kippa zu tragen. Doch die Sorge seiner Mutter, er könne sich vom einfachen Juden zum Fanatiker entwickeln, ist unbegründet. Zurück in Berlin wird er mit weiterem muslimischen Juden- und Israelhass konfrontiert. Er erfährt, dass sein Bruder Richard nun dieselben Erfahrungen als Jude erleiden muss, wie er. Und er selbst muss sich während seines Jobs bei McDonald’s von einem Palästinenser anhören, wie sehr er die Juden und Israel hasse und dass er sogar israelische Babys töten würde, wenn er die Möglichkeit dazu hätte. Ein anderer sagt ihm, dass er froh wäre, kein Jude zu sein. Es scheint, als ob sich diese jungen Muslime in ihrer Identität nur über ihren Judenhass definieren würden. Shalicar kündigt den Job und meldet sich bei der Jewish Agency für eine Einwanderung nach Israel an. Er will einfach nur noch weg aus dem muslimischen Ghetto Wedding. Doch was ihn am meisten schmerzt, ist die Trennung von Janica, die ihn liebt und die er liebt und die in einem feindlichen Umfeld immer zu ihm, dem Juden, gehalten und ihn verstanden hat. Doch er will nicht mehr Fremder im eigenen Land sein, sondern in das Land heimkehren, woher seine Vorfahren kamen und wohin sich Juden seit fast 2000 Jahren Diaspora zurücksehnten und dafür beteten, oftmals gerade wegen der Verfolgung. Während eines Besuchs bei Verwandten in Los Angeles hört Sharuz deren erschütternde Berichte über die Entwürdigung und Unterdrückung der Juden im Iran. Man unterstellte ihnen die Verbreitung einer Krankheit durch Berührung und betrachtete dies als viel schlimmer als die mit einem nassen Hund, der in der muslimischen Gesellschaft als das schmutzigste Tier gilt. Dies verleiht seiner Lebensgeschichte den Titel und bestärkt ihn in dem Entschluss, sich von seinem bisherigen Leben zu trennen und ein neues in Israel zu beginnen. Bei einer Wanderung mit anderen Neueinwanderern durch die Negevwüste erkennt sich Sharuz auf einem Berg als Teil der großen Geschichte des jüdischen Volkes, findet zu seiner Identität und ist endlich angekommen. Für ihn steht nun die Tür zu einem erfüllten Leben als Jude, ohne ausgegrenzt zu werden, offen.
In Shalicars Geschichte geht es zuerst um Menschen und sie offenbart – trotz der abhärtenden Erfahrungen – ein hohes Maß an Empathie. Sie ist inzwischen auch verfilmt worden und kommt unter dem Titel „Ein nasser Hund“ im September in die Kinos. Es bleibt zu hoffen, dass möglichst viele die jetzt vorliegende Neuauflage seines Buches lesen und sich den Film anschauen, um zu erkennen, dass ein rituelles „Nie wieder!“ deutscher Politiker an Gedenktagen schon lange nicht mehr reicht. Denn Shalicar ist mit seiner Lebensgeschichte auch Zeitzeuge einer verfehlten deutschen Politik. Die Konsequenz muss lauten, gegen alle Bestrebungen jüdisches Leben in unserem Land sowie die Existenz des Staates Israel infrage zu stellen, deutlich die Stimmen zu erheben und die politisch Verantwortlichen zu kompromisslosem Handeln aufzufordern – in Deutschland, in der EU und in der Welt. Solange mit deutschen Steuergeldern palästinensische Schulbücher finanziert werden, die eben diesen Hass auf Juden und Israel lehren, wird dieser Hass auch im Berliner Wedding und anderen muslimischen Parallelgesellschaften deutscher und europäischer Großstädte ankommen. Auch geschichtliche Aufklärung und das Einfordern der Unantastbarkeit der Würde eines jeden Menschen sind notwendig, um antisemitischen Stereotypen und verzerrten Darstellungen über die Geschichte Israels und des Nahostkonfliktes in der deutschen Öffentlichkeit und in muslimischen Ghettos den Boden zu entziehen! Um im Wesen zu verstehen, worauf es ankommt, ist es nicht nur für junge Leute hilfreich, Arye Sharuz Shalicars authentisches Zeugnis zu lesen.
Lothar Klein (Dresden), Vorsitzender der Sächsischen Israelfreunde e.V.
Arye Sharuz Shalicar: „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“. Die Autobiografie eines Deutsch-Iraners, der Israeli wurde. Taschenbuch, Deutsch, dtv Verlagsgesellschaft, 18. Juni 2021, 248 Seiten, ISBN-10: 3423349808, ISBN-13: 978-3423349802, 10,90 €
Erhältlich im Fischladen.