Zwischen der 16. und 17. Reise lag fast ein Jahr, und es kostete mich doch einige Überwindung, zur 17. Reise aufzubrechen. Dies hatte unterschiedliche Gründe.
Nun bin ich insgesamt etwa ein Jahr in Äthiopien gewesen. Dieses Land hat zum einen nichts von seiner Faszination eingebüßt, aber die Mühen der Ebene und der doch sehr unterschiedliche Lebens- und Arbeitsstil fordern doch ihren Tribut. Ich plante meine Reise so, dass ich drei Tage vor der Konfirmation zurück in Deutschland war. Im intensiven Gebet hatte mir Gott den Druck genommen, in wenigen Tagen einen Kontinent ändern zu müssen.
Gott hatte mir gesagt: Du hast oft das Gefühl, dass du die Erde zwischen deinen Fingern zerreibst und es bleibt nichts. Auch dieses Mal wird es manchmal so sein, aber du wirst auch die Erfahrung machen, dass du ein Goldkorn in den Händen hast. Auf dieser Reise will ich dir einige meiner Goldkörner in Äthiopien zeigen, wie ich wenige in Europa habe.
Der erste Eindruck nach zehn Monaten war die ungeheure Bautätigkeit in Addis Abeba: Die Hochhäuser scheinen aus dem Boden zu schießen und die ganze Stadt ist durchzogen von neu entstehenden Straßen. Auch außerhalb wächst das Straßennetz in rasantem Tempo. Nach so langer Zeit warteten doch viele auf meinen nächsten Besuch und eine der am häufigsten gestellten Fragen war: „Warum kommst du erst jetzt?“
Nach einem kurzen Abstecher zum Tanasee und den Nilfällen war Gondar der erste Anlaufpunkt. Die Auswanderung der äthiopischen Juden gilt seit letztem Sommer wieder einmal als abgeschlossen. Aber es leben noch einige Tausend Falascha in und um Gondar. Diese fühlen sich nach wie vor als Juden, ob zu Recht oder nicht entzieht sich meiner Kenntnis. Wenn es um Emigration nach Israel geht, dann werden es nur geprüfte Ein zelfälle sein. Es war für mich sehr schwierig, Kontakt zu ihnen aufzunehmen, weil viele fürchten, wenn weiße Nichtjuden sie besuchen, dann sinken ihre Ausreisechancen nach Israel. So reiste ich fast unverrichteter Dinge wieder ab und es ist fraglich, ob sich die Arbeit mit den Falascha in und um Gondar irgendwann fortsetzen wird.
Die Situation der Falascha hat sich nicht wirklich gebessert. Vor allem in Addis Abeba leben sie am Rand der Stadt, und es ist nur eine Frage der Zeit, wann sie ihre kleinen Hütten räumen müssen, da gerade in diesem Stadtteil Villen gebaut werden, die auch in Deutschland ob ihrer Größe und ihres Pomps zu den sehr seltenen Einfamilienhäusern gehören würden. Die Not ist groß und wenn es ums Überleben geht, dann fragt man eben doch nicht, ob die Hilfe von einem weißen Nichtjuden kommt. Wieder kam die Frage: „Warum warst du so lange weg?“ und die erleichterte Feststellung: „Du kommst gerade zur rechten Zeit!“
Ein Grund für meinen Reisetermin war die Afrikagebetskonferenz anlässlich des 50. Jahrestages der Gründung der Afrikanischen Union „Africa Jubilee Prayer Summit“ vom 17. – 21. März und dem anschließenden „5th Africa Israel Day“. Beides fand in den Gebäuden der Afrikanischen Union statt. Die halbe Miete für den Israeltag konnten wir Sachsen begleichen und so einen bescheidenen Beitrag leisten, dass Afrika in den abrahamitischen Segen kommt. Es waren etwa 200 Delegierte aus anderen Ländern Afrikas und etwa 600 aus Äthiopien dabei. Es ist immer wieder beeindruckend, die Afrikaner beim Gebet zu erleben. Die Gebetskonferenz wurde von den Fürbittern Kenias (Intercessors for Africa) vorbereitet und durchgeführt. Dabei hätte ich mir durchaus mehr Substanz für die geistliche Analyse gewünscht. Es fehlten mir einige sehr entscheidende Punkte für eine wirkungsvolle Buße.
Leider ist das Thema Genitalverstümmelung ein Tabu unter den geistlichen Leitern der Länder, in denen täglich Tausende von Mädchen verstümmelt werden. Aber so lange dies ein Tabu bleibt, wird die Praxis der Genitalverstümmelung ein großes Hindernis für die geistliche Erneuerung des Kontinents sein. Beeindruckend am Afrika-Israel-Tag war das gemeinsame Musizieren von jüdischer und afrikanischer Musik. Auch ist es immer wieder Mut machend, wenn die Leiter der äthiopischen Kirchen sich gemeinsam zum Afrika-Israel-Tag einfinden und so ihre gemeinsame Wurzel im Judentum demonstrieren.
Nach zehn Tagen stieß Andreas Steinert aus unserer Gemeinde zu mir, und den Rest erlebten wir nun gemeinsam. Es ging wieder in den Süden und wie im letzten Jahr besuchte ich mehrere Gefängnisse. In einem Gefängnis bat mich letztes Jahr ein Mörder, für ihn zu beten. Diesmal kam er mir strahlend entgegen. Jetzt war er der Lobpreisleiter im Gefängnis. Im Gefängnis beeindruckt mich immer besonders, mit welcher Hingabe die Menschen beten, singen, der Predigt lauschen und zu Gott schreien. Da wird für mich der Satz Jesu eindrucksvoll bestätigt:
„Wem viel vergeben ist, der liebt viel.“ Ich bin immer wieder sehr erfreut über das Leitungspersonal in den Gefängnissen. Alle, die ich bisher kennen lernte, nehmen ihre Aufgabe sehr ernst und es liegt ihnen sehr viel daran, dass ihre Schützlinge nicht nur eine Strafzeit absitzen, sondern dass sie möglichst als andere, bessere Menschen eines Tages in die Freiheit entlassen werden. Und überall ist der Wunsch nach Unterstützung. Es werden Matratzen gebraucht oder auch nur eine Decke. Um mit besseren Chancen einen Neustart zu schaffen, wäre Bildung notwendig. Man möchte gern die 9. Klasse starten mit PC und Laptops, mit Material für ein Labor, mit Schulbüchern. Ein Doppelbett kostet umgerechnet 112 Euro, eine Decke 13 Euro – das wären in einem Gefängnis allein für die 78 und 13 Kinder für knapp 1.200 Euro Decken. In jedem Gefängnis sind zwischen 1200 und 2200 Gefangenen. Da kann man den Bedarf nur erahnen.
Wir haben die von uns neu eingerichteten Bibliotheken besucht. In einem Gefängnis können die Frauen nun auch in der Regenzeit draußen unter Dach sein. Besonders beeindruckend für mich war ein Kommandeur. Er wurde als bester Kommandeur ausgezeichnet. Er denkt und handelt strukturiert. Er ging mit mir in die Frauenabteilung, wurde dort von den Frauen und Kindern herzlichst begrüßt. Er gibt seinen Anvertrauten Hoffnung, spricht mit ihnen über ihre Zukunft und wie sie diese gestalten können. Ich war zutiefst beeindruckt, als er mir berichtete, welche Ideen ihm nach dem Gebet für ihn gekommen waren.
Er war ein solches Goldkorn, ein Engel im Gefängnis, ein wirklicher Hoffnungsträger für sein Land und für alle, für die er Verantwortung trägt. Ich habe auch wieder die Kinder von der Organisation „Omochild“ besucht, die sich um die Kinder kümmert, die von ihren Eltern ausgesetzt oder umgebracht werden, nur weil die Zähne zuerst im Oberkiefer (Mingi) kommen.
Die Regierung Äthiopiens unternimmt auf vielen Gebieten wichtige Schritte (Mingi, Genitalverstümmelung, Kinderbräute), aber es ist sehr schwer, diese Traditionen in den fernab von Addis Abeba lebenden Stämmen zu beenden. Obwohl es von Regierungsseite verboten ist, verstümmeln viele immer noch ihre Mädchen.
So besuchten wir einen Stamm, bei dem die Mädchen zwei Tage vor ihrer geplanten Hochzeit beschnitten werden. Die Hälfte stirbt an den Folgen, manche genau an dem für sie geplanten Hochzeitstag. Das für uns Unverständliche ist, dass es die Mädchen selbst wollen, weil sie sich sonst nicht als vollwertige Frauen sehen können. Wir wollen uns dort mit „Women Arise“ und Samira einsetzen, dass die Mädchen, die Frauen, aber auch die zukünftigen Ehemänner über die Folgen aufgeklärt werden. Gerade der Kampf gegen die Genitalverstümmelung der Frauen muss ein Schwerpunkt der Aufklärung sein.
Im letzten Bericht hat viele der Besuch beim Stamm der Braile berührt. Jedes Jahr wurden dort ca. zehn Frauen und Kinder beim Wasserholen von Krokodilen gefressen. Anfang Dezember bekam ich mein schönstes Weihnachtsgeschenk. Da wurde der Brunnen bei den Braile eingeweiht.
Nun konnte ich ihn selbst sehen und erfuhr beim Besuch, dass seitdem niemand mehr den Krokodilen zum Opfer gefallen ist.
Schon deshalb hat sich der Einsatz gelohnt, aber wir konnten im Süden noch zwei weitere Brunnen bauen.
Mit den Speed Schools gibt es im Südwesten zurzeit Probleme, weil einige Medizinmänner nicht wollen, dass Mädchen Bildung bekommen. Etwas traurig machte mich, was ich über die nun 15-jährige Genet erfuhr. Sie hatte sich so über die Möglichkeit des Schulbesuchs gefreut und ihr Traum war es, einmal Ärztin zu werden. Nun erzählten mir meine Freunde, dass ihre Eltern sie inzwischen verheiratet haben. Wieder ist ein Traum eines Mädchens geplatzt. Solche Erfahrungen sind immer wieder deprimierend, doch wer aufgibt, wird niemandem mehr helfen können. In all den Jahren habe ich feststellen müssen, wie schwer es vor allem Kinder und Frauen in Afrika haben. Sie haben kaum Möglichkeiten, ihr Leben in irgendeiner Weise selbst zu bestimmen und sind oft der Willkür ihrer Väter und Ehemänner ausgeliefert.
Bei dieser Reise haben mir einige ihre traurigen Geschichten erzählt. Dabei hat Gott mir einige seiner Goldkörner gezeigt. Was mich besonders gefreut hat, ist die Tatsache, dass einige von ihnen durch Gebet um innere Heilung diese auf wunderbare Weise erfahren haben. Es ist ein großer Segen, wenn jemand die Traumata seines Lebens hinter sich lassen kann und Gott die Flügel des Glaubens wachsen lässt. Oft saß mir nach zwei bis drei Stunden Seelsorge ein völlig veränderter Mensch gegenüber, und manchmal hielt es sie nicht mehr auf dem Platz, sondern sie breiteten die Arme wie beim Fliegen aus und sagten: „Now I can fly!“ Und sie schreiben mir, dass die Erfahrung anhält. Gerade ihnen möchten wir helfen, eine Berufsausbildung machen und auf eigenen Füßen stehen zu können.
Oft erfahre ich wenig über das, was sich nach den Versöhnungskonferenzen tut. Diesmal kam ein Mann mit der Frage auf mich zu, ob ich mich an ihn erinnere. Es ist für mich längst nicht immer möglich, mich bei meinem Pensum an alle zu erinnern. Dann erzählte er mir, dass er im vergangenen Jahre auf der Versöhnungskonferenz im Westen des Landes, in Assosa dabei war. „Wissen Sie, was dann passiert ist?“ Natürlich war ich gespannt. Viele Kämpfer hatten die Waffen niedergelegt und sich für Versöhnung eingesetzt. Über 1000 Flüchtlinge konnten zurück in ihre Dörfer. War ich vor meiner Reise nicht sicher, ob und wie es weitergehen würde, so haben mich Gottes Goldkörner, die Resultate der letzten Reise und die strahlenden Gesichter nach erfahrener innerer Heilung doch sehr ermutigt, vermutlich noch dieses Jahr noch einmal nach Äthiopien zu fliegen, damit mich bei der nächsten Reise nicht wieder alle fragen: „Warum kommst du erst jetzt wieder?“
Am letzten Sonntag predigte ich in der Frauenkirche in Addis Abeba. Das ist ein Raum in einem der Girlshomes. Dort treffen sich ehemalige Prostituierte zu ihren Gottesdiensten und auch hier ging mir Lobpreis und Anbetung der Anwesenden unter die Haut. Schön zu sehen und zu hören, wie Gottes Geist Menschen wiederherstellt und in sein Bild zurückverwandelt!
Gebetsanliegen habe ich Euch genug geschildert, eines noch zum Schluss. Viele sprachen mich auf die Krise der geistlichen Leiterschaft an. Da ist viel Gebet und Unterweisung nötig!
Allen Betern und Spendern ein dickes „Vergelt´s Gott!“ Wer eine Spendenquittung will, teile uns bitte auch Name und Adresse mit.
Äthiopienhilfeverein Fassikia e.V.
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