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| Johannes Gerloff, Jerusalem

Der „Sumpf von Givat HaUlpana“

… und ein paar grundsätzliche Gedanken zum Thema Siedlungspolitik

Einem Europäer des 21. Jahrhunderts darf man das eigentlich gar nicht mehr erklären wollen. Der weiß längst, wo Gut, wo Böse, wo Recht und wo Unrecht liegen. Jede weitere Frage oder sonstige Anstrengung der grauen Zellen erübrigt sich. Jedes genaue Hinsehen könnte Kratzer am Image des Saubermanns oder der Saubergesellschaft hinterlassen.

Fakten stören nur das romantische Bild einer politischen Ordnung – ja: überhaupt Ordnung! Die Alternative wäre doch Chaos – und das ist auf jeden Fall zu vermeiden! Platte Solidaritätserklärungen zu Israel im Allgemeinen und seinem Existenzrecht im Besonderen, denen mantrisch das unvermeidliche „Ja, aber die Siedlungspolitik.“ folgt, sind viel leichter formuliert als Überlegungen, die sich differenziert und umfassend einer komplexen historischen, politischen, gesellschaftlichen und – nicht zuletzt - religiösen Problematik zu stellen bereit wären.

Den weltgewandten europäischen Bürger von heute interessiert überhaupt nicht, dass Israel genau auf dieselbe Weise zur Westbank gekommen ist, wie einst Polen zu Danzig und Russland zu Königsberg, nämlich durch einen Verteidigungskrieg, der ihm aufgezwungen wurde. Dabei hatte König Hussein – seligen Angedenkens – verblüffend ähnliche Kriegsgründe und Pläne für seine westlichen Nachbarn, wie der deutsche Führer – dessen Namen und Absichten in diesem Fall um der politischen Korrektheit willen ausgelöscht seien – für seine östlichen Nachbarn.

Völlig irrelevant ist aus europäischer Sicht, dass die Israelis – im Gegensatz zu Polen und Russen – meinten, nach einem gewonnenen Verteidigungskrieg „Land für Frieden“ tauschen zu können. Deshalb annektierten sie die 1967 eroberten Gebiete nicht, sondern besetzten sie „nur“. Nicht dieses Land wollten sie, sondern Anerkennung, Frieden, Sicherheit und Ruhe.

Tatsache ist, dass diese Absicht und die darauf folgenden Entwicklungen einer der Hauptgründe für die Besatzung und den Rechtsdschungel ist, der die Lage in den umstrittenen Gebieten für den normalen Menschenverstand so undurchdringlich macht und so viel menschliches Leid verursacht hat. Dabei hätten sich die Israelis möglicherweise viel Ärger erspart, hätten sie die im Sechstagekrieg eroberten Gebiete tatsächlich – wie ihnen heute so oft vorgeworfen wird – „ethnisch gesäubert“, etwa nach dem Vorbild der tschechischen Beneš-Dekrete aus den 40er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts.

Aber historische Entwicklungen, Zusammenhänge von Ursache und Wirkung, vergleichbare Sachlagen im europäischen Zusammenhang oder Absichtserklärungen von maßgeblich am Konflikt Beteiligten sind für den politisch korrekt fühlenden Europäer hinfällig angesichts des sakrosankten Politdogmas, dass die expansive israelische Siedlungspolitik das Haupthindernis schlechthin für einen Frieden in Nahost ist. Schade eigentlich, denn schon der Begriff „israelische Siedlungspolitik“ wird bei näherem Hinsehen schwammig.

Historisch gesehen wendet sich die Vierte Genfer Konvention mit ihrem Verbot eines gewaltsamen Transfers und der Deportation von Zivilbevölkerung in besetzte Gebiete gegen das, was Nazideutschland und Stalins Sowjetunion in Mittel- und Osteuropa in der Zeit des Zweiten Weltkriegs und danach praktiziert hatten. Millionen Menschen mussten den Wahn der Diktatoren mit ihrem Leben bezahlen. Gott sei Dank, sind derlei Experimente heute international geächtet!

Allein die Frage, welcher jüdische Siedler in die Westbank „transferiert oder deportiert“ wurde, zeigt, dass der plumpe Verweis auf „internationales Recht“ in diesem Fall nicht angemessen ist. Alle – wirklich ausschließlich alle! – Israelis, die heute in den besetzten Gebieten wohnen, sind freiwillig dorthin gezogen, in manchen Fällen unter großen persönlichen Opfern und nicht selten zu Beginn gegen den ausdrücklichen Willen ihrer eigenen Regierung.

Israel ist eine Demokratie und hat sich letztendlich mit Migrationsbewegungen der Zivilbevölkerung abzufinden, auf diese einzustellen. Das gilt für Araber, die zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarstaaten hin und her ziehen; das gilt für Afrikaner, die zu Zigtausenden über den Sinai im Judenstaat Zuflucht suchen; und das gilt für Juden, die – aus welchen Gründen auch immer – im biblischen Judäa und Samaria wohnen wollen.

Dass ein Staat solche „Völkerwanderungen“ entsprechend seinen Interessen und mit rechtsstaatlichen Mitteln fördern oder behindern kann, ist vollkommen klar und legitim. Darüber kann, ja muss in einem Rechtsstaat gestritten werden. Europa allerdings macht sich unglaubwürdig, wenn es einerseits auf internationales Recht pocht, andererseits aber laut applaudiert, wenn die israelische Regierung – wie etwa im Spätsommer 2005 bei der Räumung des Gazastreifens – nach stalinistischer Manier Zivilbevölkerung „transferiert und deportiert“.

Gleichzeitig spielt das Abendland im Blick auf drakonische palästinensische Gesetze – etwa die Androhung der Todesstrafe für „Kollaboration mit Israel“ oder „Landverkauf an Juden“ – engagiert Blinde Kuh. Fragt sich wirklich niemand, warum die palästinensische Gesetzgebung derart hart gegen zu gute Kontakte mit dem „Friedenspartner“ vorgehen muss? [...]

Lesen Sie den ganzen Artikel in der Ausgabe 2+3|2012

Givat HaUlpana
Givat HaUlpana (Foto: Johannes Gerloff)
Givat HaUlpana
Givat HaUlpana (Foto: Johannes Gerloff)
Medienarbeit / Presse