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| Elisabeth Hausen

Das Kind, der Tod und die Medienschlacht um die Wahrheit

Ursprünglich wollten sie herausfinden, wie

sich ein israelischer Soldat fühlt, der ein

palästinensisches Kind erschossen hat.

Doch dann stießen die ARD-Redakteure

Georg Hafner und Esther Schapira auf ein

Dickicht aus Widersprüchen und plötzlich

verschlossenen Türen. Die Frage, was wirklich

mit Mohammed al-Durah geschah,

bleibt indes offen.

„Die Authentizität der Medien ist eine Illusion, eine der vielen Selbsttäuschungen unserer Zeit, die in kritiklosem Kinderglauben hingenommen wird. Die Bilder gelten als wahr, weil sie von technischen Geräten aufgezeichnet werden, man vergisst, dass es Menschen sind, die die Kameras führen.“ Dies stellt der in der DDR aufgewachsene und heute in Israel lebende Schriftsteller Chaim Noll fest, als er einen Tag in Hebron beschreibt.

Die ARD-Journalisten Georg Hafner und Esther Schapira haben ähnliche Erfahrungen gemacht – bei ihren Recherchen über den Tod des zwölfjährigen Palästinensers Mohammed al-Durah. Der französische Fernsehsender „France 2“ strahlte die bekannten Bilder vom 30. September 2000 aus: An der Netzarim-Kreuzung im Gazastreifen stirbt ein Junge in den Armen seines Vaters, offensichtlich tödlich getroffen von einer israelischen Kugel.

„Wir konnten es alle sehen“, schreiben Hafner und Schapira im Vorwort zu ihrem Buch „Das Kind, der Tod und die Medienschlacht um die Wahrheit“. „Aber was haben wir tatsächlich gesehen? Welche Bilder hat die Kamera gefilmt und welche Bilder sind nur in unserem Kopf entstanden?“ Die Redakteure schildern ihre Recherchen für mehrere ARD-Beiträge zu Mohammed al-Durah, die zwischen 2002 und 2009 ausgestrahlt wurden.

„Diese Bilder sind eine Sensation“

Das Originalmaterial der Kamerabilder erhielten sie nicht, obwohl das unter Journalistenkollegen üblich ist. 55 Sekunden lang ist die Szene, die in der seinerzeit veröffentlichten Fernsehaufnahme zu sehen ist. Der palästinensische Kameramann Talal Abu Rahme hat nach eigenen Angaben sechs Minuten Material geliefert. Der Mitarbeiter des USNachrichtensenders CNN war an jenem Tag exklusiv für „France 2“ unterwegs.

Er ist der Hauptzeuge der umstrittenen Szene, die trotz der Dramatik niemand sonst aufgenommen hat. Jahre sollten vergehen, bis die Autoren und andere Journalisten weitere Bilder zu Gesicht bekamen: am 27. Februar 2008 in einem französischen Gerichtssaal. Anlass war eine Klage von „France 2“ gegen den französischen Geschäftsmann Philippe Karsenty, der dem Sender vorwarf, gefälschte Bilder verwendet zu haben. Schapira und Hafner schreiben dazu, der Jerusalemer Korrespondent Charles Enderlin habe eingeräumt, „die Szene um wenige Sekunden gekürzt zu haben, um den Todeskampf des Kindes nicht zu zeigen, weil diese Bilder zu grausam gewesen seien“.

Sie ergänzen: „Werden wir also gleich hier im Gerichtssaal die unerträglichen Bilder des Leidens von Mohammed al-Durah sehen? Die Spannung im Saal ist mit Händen zu greifen. Vorgeführt wird allerdings auch jetzt nicht das Masterband, also tatsächlich das Videoband, das Talal Abu Rahme am 30. September 2000 bespielt hat, sondern eine notariell beglaubigte Kopie auf DVD. Zu sehen sind zehn weitere Sekunden des brisanten Materials. Und diese Bilder sind eine Sensation, denn ganz offensichtlich lebt Mohammed al-Durah da noch.

Er hebt kurz seinen Arm und scheint unter ihm durchzuschauen. Ist das die angebliche Agonie des Kindes, die dem Publikum nicht zumutbar gewesen wäre? Ja, diese Bewegung sei dem Todeskampf geschuldet und kein Beweis dafür, dass Mohammed die Schießerei überlebt habe, argumentieren France 2 und Charles Enderlin und ernten empörtes Geraune im Zuschauerraum.“

Lesen Sie den ganzen Artikel in der Ausgabe 2+3 2015

Vor den Augen der Welt starb im September 2000 der Palästinenserjunge Mohammed al-Durah. Sein Tod wurde zum Symbol der Intifada – doch eine Untersuchungskommission bestreitet jetzt, dass der Zwölfjährige durch  israelische Kugeln ums Leben kam. Das habe eine Video-Analyse ergeben.
Vor den Augen der Welt starb im September 2000 der Palästinenserjunge Mohammed al-Durah. Sein Tod wurde zum Symbol der Intifada – doch eine Untersuchungskommission bestreitet jetzt, dass der Zwölfjährige durch israelische Kugeln ums Leben kam. Das habe eine Video-Analyse ergeben.
Medienarbeit / Presse