Die Aufregung im Vorfeld war groß, der Andrang war es auch. Eilig mussten die Organisatoren der Donnerstagsgespräche in der Alten Synagoge zusätzliche Stühle herantragen, damit die etwa 250 Gäste einen Sitzplatz finden konnten. Beim Anblick der dicht gefüllten Reihen entglitt dem kommissarischen Leiter des Hauses der jüdischen Kultur, Peter Schwiderowski, glatt ein „Wow, das sprengt das Gewöhnliche“.
Seit 1994 laden die Alte Synagoge und die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit zu dieser Gesprächsreihe ein, aber so einen Ansturm hatten sie an der Steeler Straße noch nie erlebt, sagen sie. Nicht als hier über den Antisemitismus im Christentum diskutiert wurde, auch nicht, als es um selbigen in der Anthroposophie ging.
Ein Reizthema
Der Judenhass im Islam ist ganz offensichtlich ein gesellschaftspolitisches Reizthema – und genau diesem widmet sich der deutsch-israelische Publizist Chaim Noll in seinen Studien. Bereits die Ankündigung seines Vortrags führte in Essen zu heftigen Kontroversen. Der Sprecher der „Kommission Islam und Moscheen in Essen“, Muhammet Balaban, fühlte sich beleidigt, kritisierte in einem offenen Brief die Leitung der Synagoge, sie säe mit solchen Vorträgen „Misstrauen, Hass, Anfeindungen und Unfrieden“. In einer ersten Reaktion darauf erweckte Oberbürgermeister Reinhard Paß den Eindruck, als teile er Balabans Schmähkritik. Tage und etliche Kritik später korrigierte sich der OB im NRZ-Interview: „Diese Anschuldigungen sind durch nichts berechtigt.“
Der Referent selbst ging am Donnerstag nur am Rande auf die erregte öffentliche Debatte im Vorfeld seines Vortrag ein: „Das ist eine Sache, die Sie hier in Essen betrifft und nicht mich, der in Israel lebt.“ Was er davon während seiner Lesereise in Deutschland mitbekam, dass habe ihn schon überrascht, spreche er doch über „Selbstverständliches“ und „Altbekanntes“, nämlich über die Judenfeindlichkeit im Koran. Chaim Noll betonte gleich zu Beginn seines Vortrags, dass er im islamischen Antisemitismus keine Ausnahme sehe.
Während etwa der Antisemitismus im linken Ideologiespektrum mit sozialen Argumenten begründet werde, sind es im Nationalsozialismus rassistische und im Islam religiöse. Und anders als in den christlichen Gesellschaften, vermisst Noll in der islamisch dominierten Welt eine selbstkritische Auseinandersetzung mit diesem Aspekt. Mehr noch: Anhand der Charta, also den Leitgrundsätzen der Hamas, die im Gaza-Streifen die herrschende (Terror-)Macht ist, glaubt Chaim belegen zu können, dass der Islam den Antisemitismus nicht überwunden hat. Im Gegenteil: Diejenigen, die Israel erklärtermaßen auslöschen wollen, könnten sich auf den Koran berufen – und tun es. Die entsprechenden Stellen las Noll vor.
Hitzige Diskussion
Folgt man Chaim Nolls Argumentation, lässt sich der Judenhass von heute nur über eine historische Analyse seiner Ursprünge verstehen. Noll sprach fast eineinhalb Stunden, die anschließende, teils recht hitzige Diskussion dauerte knapp 60 Minuten. Der in Ostdeutschland aufgewachsene Publizist wurde dabei von einigen Rednern verbal heftig angegriffen. Es wurde allerdings auch handgreiflich: Plötzlich stand die 82-jährige Jazz-Professorin Ilse Storb neben Noll am Rednerpult, packte mit ihrer linken Hand den hageren Referenten am Nacken, schüttelte ihn kräftig durch und rief laut: „Liebe! Was wir brauchen, ist mehr Liebe in dieser Welt.“ Dass Storb mit einer Krücke in ihrer rechten Hand wie wild geworden Löcher in die Luft stach, unterstrich eher das überfallartige ihrer Kuschelattacke.
Weniger zimperlich gingen andere Diskussionsteilnehmer mit dem Referenten ins Gericht. Sie stellten schlicht seine wissenschaftliche Reputation in Zweifel, warfen ihm Einseitigkeit vor; andere wiederum fühlten sich massiv beleidigt, wollten es sich nicht gefallen lassen, als Antisemiten „abgestempelt zu werden“, nur weil sie muslimischen Glaubens sind. Fairerweise sollte man notieren, dass Chaim Noll das mit keiner Silbe getan hat. Er sprach über Antisemitismus im Islam und nicht pauschal über Moslems als zwanghafte Judenhasser. Er scheute sich aber auch nicht vor Aussagen, die Teile des Publikums als pure Provokation empfanden. So bezeichnete Noll den Koran als ein judenfeindliches Buch, den Abzug der Israelis aus dem Gazastreifen als einen Fehler.
Die Frage eines Zuhörers, warum er nicht von der liberalen Tradition des Islam gesprochen habe, entgegnete der 1954 in Berlin geborene Noll mit einer Gegenfrage: „Wenn das stimmt, wo sind dann die Kirchen im arabischen Raum, wo sind die blühenden jüdischen Gemeinden?“
Die Stille im Raum schien ihm als Antwort zu genügen.