Nach Jahren der gemeinnützigen Arbeit zum Thema Integration jüdischen Lebens in Deutschland, nach Monaten der Problemverdrängung von politisch Verantwortlichen zum Thema Zuwanderung und Aufnahme von Flüchtlingen, Wochen nach der ersten Veranstaltung von PEGIDA in Dresden und einige Tagen vor dem Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo in Paris, bekam ich am 23.12.2014 eine Einladung zu einem Gespräch bei Bundespräsident Joachim Gauck.
Auf der Fahrt nach Berlin gingen mir alle 50 Kilometer andere Gedanken durch den Kopf. Zwar habe ich für Berlin die unterschiedlichsten Fakten unserer Arbeit zusammengetragen, jedoch wechselte die Gewichtung jedes einzelnen Punktes in seiner Bedeutung alle paar Kilometer. Etwa eine Stunde vor dem Termin kam ich in Berlin an und fand auch ohne Probleme gleich in der Nähe der Siegessäule einen Parkplatz. Bewaffnet mit meinen Unterlagen und ein Paar Flaschen SIMCHA-Pils mit Glas als Präsent für den Bundespräsidenten machte ich mich die letzten paar Meter zu Fuß auf den Weg. Im Gegensatz zum grauen und kalten Wetter war der erste Empfang der Sicherheitskräfte schon mal angenehm entspannt.
Ohne Probleme überstand ich den allen regelmäßig Fliegenden bekannten Sicherheitscheck und wurde mit dem Hinweis auf den Eingang zur Haupttür des Schlosses in den Hof entlassen. Allein bewegte ich mich auf dem Gelände an unterschiedlichen Kameras und Sicherheitsbeamten vorbei auf das Schloss zu. Mit festem Schritt, klarem Kopf, aber auch einem mulmigen Gefühl im Bauch betrat ich nun das Schloss Bellevue und wurde in jedem Raum bis hin zur Garderobe freundliche begrüßt und weiter geleitet. Von der Frau an der Garderobe wurde ich sehr nett begrüßt und konnte sehen, dass ich nicht der Erste war. Drei geladene Gäste mussten schon da sein, also war ich nicht der Erste und so löste sich schon mal aus der Mauer der Anspannung ein kleiner Stein. Als ich neben meinen Unterlagen auch die Flaschen SIMCHA für den Bundespräsidenten mit nach oben neben wollte, war die Dame an der Garderobe irritiert. Daraufhin war ich wieder verwundert, denn bei uns ist es üblich, wenn man geladen ist, ein kleines Präsent mitzubringen. Aber egal, jetzt ging ich die Stufen hinauf zur Konferenz.
Nachdem mich meine Schritte durch ein paar kleine Räume führten, kam ich in einem größeren Empfangssaal an. Dort warteten schon eine junge Frau mit verschiedensten Getränken und ein paar andere Mitarbeiter des Hauses auf mich. Da ich in dem Raum nun doch der erste Gast war, nahm ich mir ein Glas Wasser und setzte mich auf eine der Sitzgelegenheiten an der Wand. Nach ca. 10 Minuten trafen nach und nach weitere Gäste ein. Nach einer sich stetig wiederholenden gegenseitigen Vorstellung kamen wir doch sehr schnell ins Gespräch. Bei allem Selbstbewusstsein unserer Gesprächsführung, fiel mir auf, dass alle sich um die Stelle gruppierten, wo ich mich zuerst hingesetzt hatte. Somit konnte ich die Bemerkung nicht unterdrücken, dass wir alle in der Empfangshalle auf einer Stelle zusammenstehen wie scheue Rehe auf einer offenen Waldlichtung.
Bei aller Ernsthaftigkeit unseres Termins mussten alle schmunzeln und wir fühlten uns zunehmend sicherer. Ein paar Minuten vor dem Gesprächstermin bat uns die Protokollchefin jetzt in den Konferenzsaal. Dort fand jeder schnell seinen Platz durch die aufgestellten Namensschilder. Nachdem ich mich setzte, wurde mir gleich wieder Kaffee oder Tee angeboten. Ich fand auf dem Platz einen Kugelschreiber und einen Schreibblock mit dem Logo des Bundespräsidenten. Jeder richtete sich seinen Platz in wenigen Minuten nach seinem Gusto ein und schon ging es los. Der Bundespräsident betrat den Raum und gleich klickten gefühlt Hunderte Fotoapparate. Nach seiner Eröffnungsrede, die überraschend kurz war und auf den Punkt kam, wurden fünf fünfminütige Eröffnungsreferate zu den Themen Islamfeindlichkeit, Radikalisierung von Jugendlichen, Antisemitismus, Rechtsextremismus und Hooligans gegen Salafisten gehalten.
Die Referate blieben inhaltlich beim Wesentlichen und wenn auch nicht ganz ohne Emotionen, so folgten den Referaten unterschiedlichste Gesprächs- und Diskussionsbeiträge mit klaren und emotional nicht überstrapazierten Inhalten. Bis auf zwei von 38 Gesprächsteilnehmern versuchte jeder bei seinem Thema zu bleiben und sprach auch nur über seine inhaltliche Arbeit und die damit verbundenen Themenkomplexe. Damit blieben die große Gesprächsrunde und auch die kleinen bei aller Komplexität sachlich. Überhaupt wurde mit zunehmender Zeitdauer die Atmosphäre recht entspannt und alle Teilnehmer der Tagung fühlten sich nun schon lange nicht mehr in der Gegenwart des Bundespräsidenten wie die oben genannten Rehe auf der Lichtung.
Die erste Pause nutzte ich dann auch gleich, dem Bundespräsidenten unser SIMCHA-Pils zu überreichen. Auch wenn ein Mitarbeiter des Bundespräsidenten wie aus dem Nichts auftauchte und das kleine Präsent dem Bundespräsidenten gleich abnahm, so könnte ich doch kurz einige Worte zu unserem Projekt SCHALOM unmittelbar anbringen. Dabei war es ein mehr als sonderbares Gefühl, weil der Bundespräsident mir das Gefühl gab, uns zu kennen und sich über das SIMCHA-Pils zu freuen. Zugegeben, an der Stelle interpretiere ich sicher sehr viel hinein, aber zumindest bekam ich den Eindruck, der Bundespräsident wusste uns mit dem Projekt SCHALOM in Chemnitz einzuordnen. Bei Gebäck und unterschiedlichen Getränke entstanden schnell unterschiedliche kleine Gesprächsgruppen.
Die unbefangene Gesprächsatmosphäre der großen Runde wurde hierbei nicht abgebrochen. Ich hatte dann noch einmal die Gelegenheit, einige Gedanken zum Thema Integration, Miteinander und Gesellschaft in einer kleinen Runde von fünf Teilnehmern und dem Bundespräsidenten los zu werden. Als die Konferenz dann weiter ging, wurde gleich zu Beginn betont, wenn die angesetzten drei Stunden wegen der vielen Redebeiträge nicht ausreichen, dann wird kein zeitlicher Druck aufgebaut und wir könnten länger zusammensitzen. So wurde aus den geplanten drei Stunden fast vier. Nachdem dann der Bundespräsident sein Schlusswort gehalten hatte, entließ er uns mit dem Nachdruck und dem Wunsch, dieses Treffen mit Personen aus der Praxis und mit jahrelangem Engagement, zu wiederholen. Auch wenn er sich über den Rahmen noch nicht wirklich sicher sei, so wolle er alle Teilnehmer wieder einladen und dann entweder in der gleichen großen Runde bzw. in zwei kleineren die Gesprächsrunden weiter führen.
Der Bundespräsidenten bedankte sich nochmals bei jedem einzelnen Teilnehmer per Handschlag und damit war dieses Treffen beendet.
Ich verließ nun das Schloss Bellevue und suchte mein Auto in der Nähe der Siegessäule. Mit einem wirklich guten Gefühl fuhr ich zurück nach Chemnitz. Ich war mir jetzt sicher, auch wenn es uns in Chemnitz nicht gelingt, mit unseren Projekten auf Knopfdruck eine bessere Gesellschaft zu gestalten, so sind unsere Bemühungen ein Teil von etwas noch größerem und bewirken im Kleinen oder sogar nur bei manch Einzelnen positive Impulse.
Diese Einladung war nach 16 Jahren Vereinsarbeit und 14 Jahren Gastronomie für alle, die mit an dem Projekt SCHALOM Chemnitz mitwirken, die erste richtige Würdigung!
Gegen 20.20 Uhr bin ich dann wieder in Chemnitz eingetroffen und habe gleich allen im SCHALOM Restaurant von dem Tag berichtet. All zu lang war dann der Arbeitstag nicht mehr und ich konnte den ereignisreichen Tag ausklingen lassen.
Auflistung und Zahlen darüber, was das Projekt SCHALOM in den Jahren seit 1998 geleistet hat. Hier eine Übersicht über einen Teil der Arbeit des SCHALOM e.V. (seit dem 09. September 1998) und des SCHALOM Restaurants (seit dem 15. März 2000) in Zahlen mit Stand vom 17. Februar 2015:
· Vorträge in Schulen und im SCHALOM
464 Vorträge, 10.286 Zuhörer;
· Organisation von Bildungsfahrten
62 Fahrten, 1.508 Teilnehmer;
· Stadtführungen in Chemnitz
77 Führungen, 1.264 Teilnehmer;
· Deutschinformationskurse
4.672 Stunden, 861 Teilnehmer;
· Sozialarbeit / Sozialbetreuung
1.891 Stunden, 1.814 Nutzer;
· politische Projekte
24 Projekte, ca. 6.635 Teilnehmer;
· Bibliothek
517 Bücher, 1.864 Leser;
· Bereitstellung von Informationsmaterial
2.406 Nutzer;
· Mitgliederstammtisch
26 Treffen, 312 Teilnehmer
· Konzerte/Liederabende
150 Veranstaltungen, 22.813 Besucher;
· Theater/Schauspiel
25 Veranstaltungen, 2.297 Besucher;
· Ausstellungen
22 Projekte, ca. 3.925 Besucher;
· Lesungen
22 Lesungen, 728 Besucher;
· Arbeitsvermittlungen
14 Vermittlungen;
· Sportveranstaltungen
7 Veranstaltungen, 730 Nutzer;
· Jüdischer Runder Tisch
35 Sitzungen;
· MIT-Veranstalter (diverse)
58 Projekte, ca. 1.492.905 Teilnehmer;
· SCHALOM Restaurant
ca. 105.614 Gäste;
· Investitionen zur Beseitigung von Sachschäden:
41.372,42 EUR