Aktuelles

Aus unfassbarem Anlass

Mehr als ein Editorial

von Lothar Klein

 

Liebe Freunde,

nein, angesichts der Meldungen, Bilder und inzwischen auch Menschen, die uns erreichen, sah ich mich außerstande, einfach nur ein paar politische Wahrheiten über Israel und die Welt, garniert mit ein paar Bibelworten zu Papier zu bringen. Darum bitte ich schon jetzt um Verzeihung, dass ich mich des Themas etwas umfänglicher und damit in einer Weise annehme, wie es den Opfern dieses Krieges gegen die Ukraine angemessen ist, zumal dieses Morden und Zerstören eine längere Tradition hat. Der verbrecherische Krieg Putins gegen die ukrainische Zivilbevölkerung, kaum 700 Kilometer von Sachsen entfernt, geht uns als sächsische Israelfreunde in vielerlei Hinsicht etwas an! Es sind nicht nur die verstörenden Bilder von getöteten Menschen und zerstörten Städten, die uns die Tränen in die Augen treiben. Es sind nicht nur die unter die Haut gehenden Appelle des ukrainischen Staatspräsidenten Wolodymyr Selenskyj oder der Klitschko-Brüder aus Kyiv, die uns hohen Respekt abringen. Es sind nicht nur die Flüchtlingsströme von Frauen und Kindern, die auch uns erreichen und hier auf große Hilfsbereitschaft treffen. Ich denke an einen Freund, den ich 2018 bei Jerusalem Prayer Breakfast kennen gelernt habe. Er ist Pastor in Kyiv und schrieb am Tag nach Kriegsbeginn auf seiner Facebookseite, dass er seine Frau und seine Kinder in Sicherheit gebracht habe und nun seine Pflicht tue, um seinem Land zu dienen. Ich habe seit- dem keinen neuen Eintrag gelesen. Gerade weil es unsere seit Jahrzehnten gewohnte Abwesenheit von Krieg ist, die plötzlich hier in Europa, und damit auch vor unserer Haustür infrage gestellt wird, trifft dieses brutale, menschenverachtende Vorgehen des Despoten im Moskauer Kreml auch uns.

Worin liegen die Ursachen dafür, dass fast 77 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und 33 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die vereinbarten Friedensordnungen plötz- lich nicht mehr zu gelten scheinen? Bei all dem Schrecklichen, was auf uns einströmt, ist uns als Israelfreunden natürlich besonders wichtig, wie es den vom Krieg betroffenen Juden geht. Denn immerhin lebten bis Kriegsbeginn unter den 44 Millionen Ukrainern rund 200.000 Juden, davon ca. 17.000 Holocaustüberlebende. Inzwischen sind es noch knapp 10.000. Die Geschichte der Ukraine ist also eng mit der Russlands und Deutschlands verbunden, aber insbesondere auch mit den Juden, die dort lebten und leben. Ohne Rückblick auf diese Geschichte wird es nicht möglich sein, den aktuellen Konflikt auch nur ansatzweise zu verstehen. Denn wir alle suchen angesichts der möglicherweise auch uns treffenden Bedrohung nach Antworten und Perspek- tiven. Ich wage hier einen sicher nicht erschöpfenden Versuch. Dazu ist jedoch ein tiefer Blick in die Geschichte und dann auch in das Wort Gottes, des Herrn der Geschichte, nötig.

Sehr bald nach der deutschen Wiedervereinigung bekamen auch sächsische Christen die Ukraine in den Blick. In diesem Nachfolgestaat der eben zerfallenen Sowjetunion lebten überraschend viele Christen, aber auch sehr viele Juden, und zwar unter teilweise erbärmlichen Bedingungen. Viele von ihnen Überlebende der Schoah. Schon in den 70er Jahren hatten sich Christen aus Deutschland von Gott in die Verantwortung nehmen lassen, diesen Menschen zu helfen. Manche machten sich allein auf den Weg, andere zusammen mit Geschwistern westdeutscher Vereine wie Eben Ezer oder des Christlich humanitären Bruderhilfe e.V., gegründet von Hans Heinrich, († 2009), der schon vor dem Fall des Eisernen Vorhangs in Ländern Osteuropas und seit 1991 vor allem Menschen in der Ukraine gedient hat. Dort waren es hauptsächlich jüdische Menschen, denen sie mittels Suppenküchen sowie dem Verteilen von Lebensmittelpaketen und Kleidung helfen durften. Ihr Motiv war der Bibelvers aus Jesaja 40,1: „Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott“, der auch uns als Sächsische Israelfreunde seit unserer Gründung vor 24 Jahren leitet. Sehr bald gewann dabei auch die Hilfe für Juden an Bedeutung, die sich für die Aliya nach Israel entschieden hatten. Auch viele Christen aus Sachsen haben sich in diesen Dienst hineingegeben, wie unser Gründungsmitglied Winfried Amelung aus Chemnitz, Freunde aus Bautzen oder auch Volker und Gitta Rabe aus Erlau. So erfuhren sie von Zeitzeugen, wie während des Zweiten Weltkrieges neben Polen gerade auch in der Ukraine deutsche Einsatztruppen besonders bestialisch wüteten. Allein am 29. und 30. September 1941 wurden innerhalb von 48 Stunden 33.771 jüdische Männer, Frauen und Kinder am Stadtrand der Hauptstadt Kyiv in der Schlucht von Babyn Jar erschossen. Und es ist auch kein Geheimnis, dass nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion die deutschen Truppen von Ukrainern als Befreier vom sowjetischen Joch bejubelt wurden und ukrainische Nationalisten die deutschen Einsatzgruppen bei der Ermordung von Juden tatkräftig unterstützten.

Dies hat jedoch zwei konkrete geschichtliche Hintergründe. Erstens wurde die brutale Sowjetherrschaft fälschlicherweise mit „den Juden“ identifiziert, weil manche russische Juden den Revolutionsführer Wladimir Iljitsch Uljanov, genannt Lenin, beim Kampf gegen die Zarenherrschaft unterstützten. Sie hofften, damit den unerträglichen zaristischen Judenpogromen ein Ende zu bereiten. – Diese Pogrome waren übrigens 1882 bis 1893 der Anlass für die erste Aliya, die erste große Welle von jüdischen Einwanderern nach Zion in das damals zum Osmanischen Reich gehörende Palästina – In der Tat waren manche Schlüsselpositionen in der Moskauer Partei- und Staatsführung auch mit Juden besetzt. Doch unter Lenins Nachfolger Josef Stalin mussten diese bald erkennen, dass sie auf das falsche Pferd gesetzt hatten und nun von den eigenen Genossen umso brutaler verfolgt wurden. Der bekannteste unter ihnen war der aus der Zentralukraine stammende Lew Bronstein, genannt Leo Trotzki, der als maßgeblicher Organisator der Oktoberrevolution und Gründer der Roten Armee zunächst großen Einfluss hatte, aber von Stalin entmachtet und schließlich in dessen Auftrag 1941 im mexikanischen Asyl ermordet wurde. Trotzki hatte es gewagt, den sowjetischen Antisemitismus und die Kollaboration mit Nazi- Deutschland anzuprangern. Stalin unterstellte den Juden, eine Verschwörung gegen ihn zu betreiben und er ließ darum viele von ihnen im schon von Lenin eingeführten Straflagersystem, dem Gulag, verschwinden oder auch gleich hinrichten. In den 1920er Jahren eingerichtet und systematisch ausgebaut, wurden dort echte und auch angebliche Regimegegner durch Hunger, Kälte und Zwangsarbeit vernichtet. Doch traf das nicht nur die Juden. Wer Klassiker wie „Der Archipel Gulag“ oder „Das Schwarzbuch des Kommunismus“ gelesen hat, erfährt, dass das Sowjetregime unter der Herrschaft Stalins rund 20 Millionen Menschenleben vernichtete.

Zu diesen Opfern gehörten auch viele Ukrainer. Denn am 26. Januar 1918 hatte sich die Ukraine für unabhängig erklärt. Nur zwei Wochen später besetzte die Rote Armee Kyiv. Die Sowjets wollten den Traum von der ukrainischen Unabhängigkeit beenden, bevor er Realität wurde. Stalins Ziel war die „Liquidierung des Kulakentums als Klasse“, also der bäuerlichen Bevölkerung der Ukraine, die in der Sowjetunion für die Erzeugung von Lebensmitteln, insbesondere von Getreide sorgte. Schon damals galt die Ukraine als „Kornkammer Europas“. Millionen Bauern wurden ab 1930 zur Brechung ihres Widerstandes gegen die staatlichen Zwangskollektivierungen und den Raub ihres Eigentums in unfruchtbare Regionen umgesiedelt oder in Zwangsarbeitslager deportiert, wodurch die landwirtschaftliche Produktion stark zurückging. Davon unbeirrt ließ die Sowjetführung dennoch große Mengen an Lebensmitteln und Getreide – einschließlich des Saatgetreides – requirieren, um diese auf dem Weltmarkt gegen Devisen, Waffen und Industriegüter zu verkaufen, auch nach Deutschland. Als im Frühjahr 1932 auch noch eine Dürre hinzukam, war die Katastrophe perfekt. Dieser durch das Stalin-Regime herbeigeführten Hungersnot von 1932/33 fielen nach verschiedenen Schätzungen bis zu 7 Millionen Ukrainer zum Opfer, weitere 2 Millionen außerhalb der Ukraine. Während Diktator Stalin Urlaub am Schwarzen Meer machte, verhungerten in der Ukraine ganze Dörfer. Diese Erfahrungen des millionenfachen Massenmordes, der unter dem leider viel zu wenig bekannten Begriff Holodomor (zu Deutsch: Tötung durch Hunger) in die Geschichte einging, führten zu einer Verstärkung der nationalistischen Kräfte, die nach Befreiung der Ukraine von der sowjetischen Terrorherrschaft strebten. Doch bis zum Zusammenbruch des Sowjetimperiums und der Unabhängigkeit der Ukraine mussten noch fast 60 Jahre vergehen.

Kaum – und in der DDR gar nicht – beleuchtet ist das finstere Kapitel der ideologischen Geistesverwandtschaft zwischen den deutschen Nationalsozialisten und den sowjetischen In- ternationalsozislisten, aus der schon vor der Unterzeichnung des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes am 24. August 1939 in Moskau eine intensive Zusammenarbeit erwuchs. Dieser auch Hitler-Stalin-Pakt genannte Vertrag wurde von Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop und dem sowjetischen Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten Wjatscheslaw Molotow in Anwesenheit des KPdSU-Chefs Josef Stalin unterzeichnet. Dieser sah mit seinen Zusatzabkommen die Aufteilung Polens zwischen Nazi-Deutschland und der Sowjetunion sowie u.a. die Einverleibung der baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland in die Sowjetunion vor. Zum relativ gut dokumentierten, aber kaum untersuchten Kapitel dieser Kollaboration gehörte schon im Vorfeld das gründliche Studium des sowjetischen Geheimdienstes NKWD (dem Vorläufer des KGB) betriebenen Straflagersystems durch hochrangige SS-Vertreter, um bald darauf ganz Europa mit solchen Konzentrationslagern zu überziehen. Sogar zum Erlernen von Foltermethoden sind SS-Schergen bei ihren NKWD-Genossen in die Schule gegangen. Noch unfassbarer ist, dass die sowjetischen Genossen bis zum Überfall der deutschen Truppen auf die Sowjetunion ihren deutschen Freunden bei der Zuführung von Juden in die Vernichtungsmaschinerie der NS-Barbaren außerordentlich behilf- lich waren. Auch Stalin wollte die Juden loswerden. Dies soll in keinster Weise die in deutschem Namen begangenen Verbrechen an den sechs Millionen europäischen Juden relativieren! Nur muss erwähnt werden, dass auch nachdem Polen im September 1939 sowohl von der deutschen Wehrmacht als auch von der Roten Armee überfallen worden war, und sie gemeinsame Siegesparaden abgehalten hatten, z.B. viele polnische Juden glaubten, die Sowjets seien Kämpfer gegen den Faschismus, suchten Schutz bei ihnen vor der vorrückenden Wehrmacht, und liefen geradewegs in die Falle. Stalin ließ die Juden in seinem Bereich zusammentreiben und lieferte sie an die deutschen Einsatzkräfte aus, während sich sein Geheimdienst NKWD im Wald bei Katyn um die Ermordung von 4.400 polnischen Offizieren und Intellektuellen selber kümmerte.

Erst nachdem die Sowjetunion unter Michail Gorbatschow 1990 die Massaker eingeräumt hatte und polnischen Archäologen in Katyn und andernorts Untersuchungen erlaubte, folgte eine gut 20-jährige Phase, in der Russland relativ offen mit diesem Verbrechen umging. Anfang April 2010 besuchte der damalige Ministerpräsident Wladimir Putin sogar gemeinsam mit seinem polnischen Kollegen Donald Tusk zum 70. Jahrestag des Massenmordes die Gedenkstätte in Katyn. Doch zehn Jahre nach Tusks Besuch schlägt der russische Autokrat einen völlig anderen Ton an, sobald es um den Zweiten Weltkrieg geht. Jede kritische Aufarbeitung der Verbrechen des Stalinismus wird inzwischen unterbunden. Stattdessen werden in den Staatsmedien wieder die Heldenmythen beschworen, die schon 1945 bis 1989 die sowjetische Selbstdarstellung des „Großen Vaterländischen Krieges“ dominierten und unter Putin zu einer Art nationalistisch- orthodoxer Ersatzreligion geworden sind. Nirgends wird das so anschaulich dargestellt wie in der Hauptkirche der Streitkräfte Russlands, die zwischen 2018 und 2020 in der Stadt Kubinka etwa 60 Kilometer westlich von Moskau errichtet wurde. Die Idee geht auf den russischen Verteidigungsminister Sergei Schoigu zurück, der zusammen mit Wladimir Putin und dem Moskauer Patriarchen Kyrill I. im September 2018 auch den Grundstein legte, nachdem die Kirche in einer Rekordbauzeit von 19 Monaten im Mai 2020 errichtet wurde. Dort werden Ikonen mit biblischen Personen mit der Glorifizierung Russlands und der Roten Armee genauso vermischt, wie das Kreuz Christi und das sowjetische Symbol von Hammer und Sichel. Und auf dem Wandmosaik zur Siegesfeier 1945 wird Josef Stalin im Hintergrund dargestellt. Ein anderes Mosaik zeigt sogar Putin und Schoigu bei der Siegesfeier anlässlich der Annexion der Krim 2014. Mit dieser ideologischen Haltung gewinnt Putins Ansicht, die er in seiner Kriegspropaganda vom 22. Februar noch einmal bekräftigte, eine ganz andere Bedeutung, dass er den „Zerfall der Sowjetunion vor 30 Jahren nach wie vor als größte globale Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ betrachtet, und nicht etwa den Holocaust oder den Zweiten Weltkrieg. Seit den 80er Jahren hat die russische Organisation „Memorial International“ die historische Aufarbeitung sowjetischer Gräueltaten betrieben. Am 22. Februar hat das Oberste Gericht in Moskau sie als „ausländischen Agenten“ verboten und die Auflösung angeordnet – zwei Tage vor dem Überfall auf die Ukraine. Vielleicht war „Memorial“ Putins Machenschaften als Verbindungsoffizier des KGB zur Stasi bis Dezember 1989 in Dresden auf der Spur? Wir wissen es nicht. Putin will sicherstellen, dass die Deutungshoheit über die Geschichte der Sowjetunion in staatlicher, also seiner Hand bleibt. Bei einem Treffen mit jungen russischen Historikern und Lehrern im November 2014 verstieg sich der russische Präsident sogar zu der Aussage, der „Hitler-Stalin-Pakt“ von 1939 sei in Ordnung gewesen. Und Polen sei letztlich selbst verantwortlich gewesen für die Teilung des Landes zwischen NS-Deutschland und der Sowjetunion. In Putins Augen war und ist alles gut, was – wenn auch unter Millionen Opfern – der Expansion des russischen Imperiums diente und dient. Er und sein Außenminister Lawrow leugnen den Krieg gegen die Ukraine und deren Bürger, weil für den Kreml die Ukraine gar nicht existiert und dieses Gebiet zum eigenen Herrschaftsbereich zugehörig angesehen wird. Die alte Brutalität und Menschenverachtung, die unter Stalin Handlungsprinzip war, hat sich bei Putin wieder bahngebrochen. Darum ist es umso wichtiger, den schmerzhaften Blick in die Geschichte zu wagen, um die schmerzhafte Gegenwart auch nur ansatzweise zu begreifen, die Zar Wladimir billigend in Kauf nimmt, um dem russischen Kolonialismus zu alter Größe zu verhelfen. Als alter KGB-Tschekist greift er dafür tief in die Trickkiste der Abteilung „Desinformation“ seines alten und neuen Geheimdienstes. Das krasseste Beispiel ist die Lüge, die Ukraine werde von Nazis beherrscht und müsse „entnazifiziert“ werden, denn eine rechtsextreme ukrainische Partei, die bei den Parlamentswahlen nur rund zwei Prozent bekommen hat, ist weder für die Demokratie im eigenen Land noch für den russischen Nachbarn eine Bedrohung. Putin sollte mit der Entnazifizierung lieber zuhause bei seinen „Nachtwölfen“ oder der Söldner-Einheit „Gruppe Wagner“ beginnen, die für Kriegsverbrechen weltweit verantwortlich gemacht wird und deren mutmaßlicher Gründer, Dmitri Utkin, als bekennender Neonazi gilt.

Aufgedeckt hat die unfassbaren, unbequemen Wahrheiten über die Kollaboration der Sowjets mit Nazi-Deutschland bis hin zum Holocaust eine von Mitgliedern des Europäischen Parlaments initiierte und von renommierten Historikern und Zeitzeugen unterstützte Filmdokumentation mit dem Namen „The Soviet Story“. Deren deutschsprachige Version kann hier angeschaut werden. Dazu braucht man allerdings starke Nerven! Interessant ist es, in dem inzwischen 14 Jahre alten Film die sowjetische Kriegsrhetorik zum brutalen Vorgehen gegen die Ukraine im Holodomor und auch zum Krieg gegen Finnland zu hören, die einem angesichts des heutigen Krieges gegen die Ukrainer wie ein Déjà-vu vorkommt. An der nationalistischen und antisemitischen Politik Russlands hat sich von der Zarenzeit über die Sowjetunion bis zum Putin-Regime im Kern nichts geändert, auch weil niemals eine selbstkritische Aufarbeitung geleistet wurde, wie dies in Deutschland nach der Schoah oder auch in manchen osteuropäischen Ländern nach dem Abwerfen des kommunistischen Jochs geschehen ist. Im Gegenteil!

Als Kriegsgrund war auch immer wieder zu hören, Deutschland und mit ihm die NATO hätten mit der Aufnahme osteuropäischer Staaten ihr Versprechen im Zwei-plus-Vier-Vertrag über die deutsche Wiedervereinigung von 1990 gebrochen, „die NATO nicht östlich der Elbe auszudehnen“. Als Abgeordneter der letzten Volkskammer und Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, der ich darüber mit zu beraten und zu beschließen hatte, kann ich sagen, dass dieser Vorwurf Putins falsch ist! Diese Aussage bezieht sich ausschließlich auf das Staatsgebiet des wiedervereinigten Deutschlands, und wird bis heute eingehalten. Östlich der Elbe – also auf dem Gebiet der ehemaligen DDR – sind bis heute keine ausländischen NATO-Truppen stationiert, sondern nur die Bundeswehr! Deutschland als Initiator des Zweiten Weltkrieges, infolge dessen die osteuropäischen Völker unter das sowjetische Joch gekommen sind, hätte sich niemals anmaßen dürfen, über deren Köpfe hinweg Entscheidungen zu treffen. Das Gegenteil ist vertraglich vereinbart worden, und zwar am 21. November 1990 mit der „Charta von Paris“, in der unter dem Thema „Sicherheit“ ausdrücklich festgehalten ist, dass die Unterzeichnerstaaten sich zum Recht der Staaten bekennen, „ihre sicherheitspolitischen Dispositionen frei zu treffen“. Das heißt: freie Wahl des Verteidigungsbündnisses! Für die Sowjetunion hat dies Michail Gorbatschow unterzeichnet und Putins Vorwurf selbst eine Abfuhr erteilt. Hinzu kommt, dass die Ukraine wie auch Weißrussland und Kasachstan im „Budapester Memorandum“ vom 5. Dezember 1994 über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen auf ihre aus der Sowjetzeit stationierten Atomraketen verzichtet haben und im Gegenzug alle Unterzeichnerstaaten, die USA, Großbritannien und die Russische Föderation diesen ehemaligen Sowjetrepubliken schriftlich zugesagt haben, deren Unabhängigkeit, Souveränität und Grenzen zu respektieren! Für Russland hat dies Staatspräsident Boris Jelzin unterzeichnet.

Wladimir Putin interessieren all diese Verträge nicht. Er konstruiert als Rechtfertigung historisch falsche Zusammenhänge, um seinen Vernichtungskrieg gegen die ukrainische Zivilbevölkerung zu rechtfertigen. Ja, er sieht sich sogar als Retter des Christentums gegen den „antichristlichen, dekadenten Westen“, unter dessen Einfluss die Ukraine geraten sei. Dafür bekommt er Rückendeckung vom Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, seinem alten KGB-Freund Patriarch Kirill I., der diesen Krieg mit einer völkisch-religiösen Ideologie rechtfertigt und oppositionelle Demonstranten als „Kräfte des Bösen“ diffamiert. Auch die Bitten anderer orthodoxer Patriarchen, sich für ein sofortiges Ende des Krieges einzusetzen, weist er schroff zurück. Die russisch-orthodoxe Kirche macht sich damit heute genauso mitschuldig, wie einst die evangelisch-lutherischen sogenannten „Deutschen Christen“ im nationalsozialistischen Deutschland. Denn eine derartige religiöse Überhöhung politischer Macht kennt man sonst nur im politischen Islam und eben von diesen „Deutschen Christen“, die anstelle des Juden Jesus von Nazareth den österreichischen Kunstmaler und Gefreiten Adolf Hitler als Heiland der Deutschen verehrten und sich zum Teil bis zum bitteren Untergang politisch gleichschalten ließen. Das Verführungspotenzial ist auch heute groß, wenn ich in den fälschlich so genannten Sozialen Medien lese, dass manche Leute Verständnis für Putins Vernichtungskrieg haben. Selbst Christen waren und sind davor nicht gefeit. Leider scheint auch die Ideologieanfälligkeit unseres Volkes trotz braunem und rotem Totalitarismus unausrottbar. Darum ist es wichtig, am Wort Gottes festzuhalten und es unbedingt auch im Zusammenhang zu lesen! Markus 13,7+8 verheißt uns für „die letzte Zeit“: „Wenn ihr aber hören werdet von Kriegen und Kriegsgeschrei, so fürchtet euch nicht. Es muss so geschehen. Aber das Ende ist noch nicht da. Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere. Es werden Erdbeben geschehen hier und dort, es werden Hungersnöte sein. Das ist der Anfang der Wehen.“ Beten wir für die Ukrainer und ihr Land, dass sie bald wieder in Frieden leben können. Und beten wir darum, dass dieser Krieg sich nicht weiter ausbreitet, was angesichts des Geistes, der nicht „die Russen“ sondern allein Putin und seine Kreml-Clique treibt, nicht ausgeschlossen ist.

Hier haben auch die westlichen Demokratien eine Verantwortung für die Staaten Osteuropas, an die auch die Ukraine appelliert. Erstens wegen ihres Appeasements gegenüber Hitler im Münchner Abkommen, deren Schwäche den Despoten ermutigt hat, sich die Tschechoslowakei einzuverleiben und dann ganz Europa in Brand zu setzen. Und zweitens wegen des Vertrages von Jalta, der die osteuropäischen Opfer Hitler-Deutschlands dessen einstigen Verbündeten unterworfen hat – der Sowjetunion. Das sind Polen, Estland, Lettland, Litauen, die Tschechen und Slowaken, Moldawien, Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Aufschlussreich ist, dass am 9. März der Vorsitzende der Christdemokraten im Europäischen Parlament, Manfred Weber, erklärt hat, dass angesichts der Tatsache, dass russische Raketen von Kaliningrad (Königsberg) aus Berlin und Wien erreichen können, Europa einen solchen Raketenschutzschirm diskutieren und organisieren sollte, wie ihn Israel mit seinem „Iron Dome“ erfolgreich entwickelt habe.

Für uns heißt das aber auch, für Israel zu beten, denn Soldaten des russischen Imperiums stehen als Schutzmacht des syrischen Assad-Regimes an der Grenze des jüdischen Staates! Russische Jagdflugzeuge beherrschen den Luftraum des schwierigen Nachbarn Israels und seit 1977 unterhält Russland eine Marinebasis in der syrischen Hafenstadt Tartus am Mittelmeer zur unbegrenzten Nutzung. Wozu? Eine mögliche Antwort gibt uns der Prophet Hesekiel, Kapitel 38, Verse 1 bis 6, wenn man auf der Landkarte von Jerusalem aus eine Verbindung zum äußersten Norden zieht und auf Moskau stößt: „Und des HERRN Wort geschah zu mir: Du Menschenkind, richte dein Angesicht auf Gog, der im Lande Magog ist und der Fürst von Rosch, Meschech und Tubal, und weissage gegen ihn und sprich: So spricht Gott der HERR: Siehe, ich will an dich, Gog, der du der Fürst bist von Rosch, Meschech und Tubal! Siehe, ich will dich herumlenken und dir einen Haken ins Maul legen und will dich ausziehen lassen mit deinem ganzen Heer, mit Ross und Mann, die alle voll gerüstet sind; und sie sind ein großer Heerhaufe, die alle kleine und große Schilde und Schwerter tragen. Du führst mit dir Perser, Kuschiter und Libyer, die alle Schild und Helm tragen, dazu Gomer und sein ganzes Heer, die vom Hause Togarma, die im Norden wohnen, mit ihrem ganzen Heer; ja, du führst viele Völ- ker mit dir.“ Spätestens dann wird sich zeigen, ob die deutsche Staatsräson von der nicht verhandelbaren Sicherheit Israels nur auf Lippenbekenntnissen basiert, oder aber über gelieferte U- Boote hinaus tragfähig ist.

Wladimir Putin bezeichnete seinen „militärischen Spezialeinsatz“ sogar als Akt christlicher Nächstenliebe, „um einen Genozid zu verhindern“. Aus Anlass des 8. Jahrestages der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim zitierte er bei einer Propagandaveranstaltung ungenau das Jesuswort aus Johannes 15,13, dass „...keiner größere Liebe hat, als wenn er seine Seele gibt für seine Freunde“, und erhebt sich damit de facto zum Messias der Russen. Doch dieser Zynismus wird rhetorisch noch überboten, die Ukraine mit 200.000 jüdischen Bürgern, darunter 17.000 Holocaustüberlebenden, und ihrem jüdischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, von dem drei Onkels im Zweiten Weltkrieg im Kampf gegen die Nazis umgekommen sind, „entnazifizieren“ zu wollen. Um das zu bekräftigen, hat die russische Armee die Gedenkstätte für die von den deutschen Einsatzkräften 1941 in Babyn Jar ermordeten Juden beschossen. Die Ukraine ist hingegen trotz einiger Rechtsextremisten laut dem Washingtoner Meinungsforschungsinstitut „Pew Research Center“ mit fünf Prozent neben Estland der Staat in Europa mit den geringsten antisemitischen Einstellungen seiner Bevölkerung, während die Niederlande die unrühmliche zweithöchste Rate an Antisemitismus hinter Frankreich aufweisen. Dies zeigt sich nicht nur innenpolitisch, sondern auch in der Einstellung gegenüber dem jüdischen Staat Israel. So hat die Ukraine kurz vor Putins Vernichtungskrieg Jerusalem als Israels Hauptstadt an erkannt. Dass viele ukrainische Juden bald darauf in Israel eine sichere Zuflucht finden würden, war damals noch nicht absehbar. Inzwischen sind fast 10.000 Juden sicher in Israel angekommen.

Fragen wir danach, wie wir bei uns den geflüchteten Frauen und Kindern, deren Ehemänner, Brüder und Väter tapfer ihr Land gegen den russischen Aggressor verteidigen, darunter viele Juden, helfen können, auch durch Spenden. Beten wir für die Menschen in der Ukraine, und entsprechend unserer Berufung und geschichtlichen Verantwortung besonders für die Juden, die von diesem furchtbaren Geschehen betroffen sind. Lasst uns den anrufen, den wir durch Jesus Christus Vater nennen dürfen, aber den das Wort Gottes auch HERR Zebaoth nennt, und das heißt: Herr der Heerscharen. Er hat die Weltgeschichte immer noch im Griff, auch wenn uns jetzt noch vieles unverständlich ist. Von ihm steht in Psalm 46,7-12 geschrieben: „Die Heiden müssen verzagen und die Königreiche fallen, das Erdreich muss vergehen, wenn er sich hören lässt. Der HERR Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz. Kommt her und schauet die Werke des HERRN, der auf Erden solch ein Zerstören anrichtet, der den Kriegen steuert in aller Welt, der Bogen zerbricht, Spieße zerschlägt und Wagen mit Feuer verbrennt. Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin! Ich will der Höchste sein unter den Hei- den, der Höchste auf Erden. Der HERR Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz.“ Über die Zeit vor seiner Wiederkunft sagt Jesus seinen Jüngern in Lukas 21,28: „Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ Daran musste ich denken, als ich auf YouTube mitten in den Kriegswirren den Lobgesang einer Gruppe ukrainischer Christen in einer Kyiver U-Bahnstation sah. Auch da mittendrin, wo Satan, den das Wort Gottes den Mörder von Anfang nennt, meint, über das Leben zu triumphieren, ist Gott da und offenbart den Sieg des Lebens über den Tod. Möge dies doch ganz Europa erkennen!

 

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