Bei der Eröffnungsveranstaltung der fünften internationalen Antisemitismuskonferenz des israelischen Außenministeriums in Jerusalem, dem „Global Forum for Combating Antisemitism“, waren 1200 Menschen aus 80 Ländern zusammengekommen. Das war eine Rekordzahl für die Veranstaltung, die laut der israelischen Botschaft in Berlin das „weltweit wichtigste Forum zur Analyse antisemitischer Strömungen auf der ganzen Welt und für die Entwicklung von Gegenstrategien“ ist.
Es hat traurige und alarmierende Gründe, warum sich so viele Vertreter aus Politik, Gesellschaft, Religion und Wissenschaft auf den Weg gemacht haben: Der weltweite Hass auf die Juden und ihren Staat hat in den zwei Jahren seit der letzten Konferenz dramatisch zugenommen. Immer wieder wurden in diesem Zeitraum Menschen auf offener Straße mitten in Europa ermordet, weil sie Juden waren. Ein gewaltiger Exodus hat eingesetzt.
Zu Tausenden verlassen die Juden Frankreich, Ungarn, Schweden und Belgien. Viele von ihnen gehen nach Israel, trotz der Schreckensmeldungen, die man von dort über neue Formen des palästinensischen Terrorismus hört – unvorhersehbare Attacken mit Messern und PKWs. In der Auswanderung beziehungsweise Flucht vieler Juden nach Israel ist die Erfüllung biblischer Verheißungen erkennbar, aber auch die Unfähigkeit europäischer Regierungen, ihre jüdische Bevölkerung vor den meist islamistischen Angriffen zu schützen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass man sich scheut, das Problem des islamischen Antisemitismus klar beim Namen zu nennen.
Vielleicht sind sogar die Organisatoren der Konferenz davor zurückgeschreckt. Als Schwerpunkte waren im Vorfeld zwei Themen formuliert worden: Antisemitismus im Internet und der Anstieg von Antisemitismus in Europas Städten. Spätestens, als am dritten Tag die Ergebnisse der verschiedenen Arbeitsgruppen präsentiert wurden, wurde jedoch deutlich, dass das eigentliche Schwerpunktthema, dass so gut wie alle anderen miteinander verbindet, der islamische Antisemitismus war.
Ob an den Schulen und Universitäten, im Internet oder in Lateinamerika, beim Thema Antizionismus oder Holocaustleugnung: Überall sind es die Auswüchse islamistischer Bewegungen, die den Ton angeben. In Lateinamerika, besonders in Bolivien, Venezuela und Ecuador, baut sich der Iran eine Machtbasis auf. Dessen unverhohlener Vernichtungsantisemitismus wird hier wie bei den Atomverhandlungen geflissentlich ignoriert.
Die Ignoranz des Westens gegenüber islamischem Antisemitismus bereitete den Konferenzteilnehmern nicht weniger Sorge als der Mord und Terror gegen Juden im Namen des Islam selbst. In Europa gehen diese beiden Phänomene eine gefährliche Symbiose ein: Darin, dass drei Palästinenser 2014 einen Brandanschlag gegen die Synagoge in Wuppertal verübt hatten, konnte die Staatsanwaltschaft keinen Antisemitismus erkennen und verurteilte die drei zu geringen Bewährungsstrafen. So fürchten die Juden in Deutschland nicht nur gewalttätige Übergriffe, sondern auch das Unverständnis der deutschen Justiz.
Der deutsche Justizminister Heiko Maas war bei der Konferenz anwesend und hielt am ersten Abend eine Rede, in der er die Bemühungen des Ministeriums bei der Aufarbeitung des Nationalsozialismus hervorhob: „Wir haben eine unabhängige wissenschaftliche Kommission eingesetzt, die untersuchen soll, wie das Justizministerium in den 1950er und 60er Jahren mit der Nazi- Vergangenheit umgegangen ist. Sie soll unter anderem klären, warum Deutschlands Justiz damals so viele Nazi-Verbrecher laufen ließ. Mein Ministerium hat dazu den Forschern sämtliche Akten geöffnet, auch Personalakten und geheime Dokumente. Wir wollen, dass die historische Wahrheit endlich ans Licht kommt, auch wenn wir wissen: Das Ergebnis wird nicht schmeichelhaft werden für die deutsche Justiz.“
Der Umgang mit islamischem Antisemitismus in der Gegenwart lässt diese Klarheit leider vermissen. Wären die Brandstifter deutsche Neonazis gewesen, wäre das Urteil vermutlich anders ausgefallen, auch wenn sie – wie die Palästinenser es getan haben – beteuert hätten, sie hätten nur gegen den Gaza-Krieg demonstrieren wollen – unter Alkoholeinfluss, versteht sich. Erfreulicherweise waren unter den Teilnehmern in Jerusalem auch zahlreiche Muslime, darunter religiöse Amtsträger wie der französische Imam Hassen Chalghoumi, der ebenfalls ein härteres Vorgehen der europäischen Gerichte forderte, zum Beispiel gegen Hassprediger. Er lebt in Frankreich unter ständigem Personenschutz. Menschen wie er leisten unter Einsatz ihres Lebens einen bemerkenswerten Dienst.
Gleichzeitig darf man sich nicht der Illusion hingeben, sie würden den eigentlichen Islam verkörpern, der von einigen wenigen Radikalen lediglich missbraucht würde. Vielmehr ist Hassen Chalghoumi eine der tapferen Einzelpersonen, die sich mit ihrer moderaten Lehre ganzen Staaten wie Saudi-Arabien und dem Iran entgegenstellen. Deswegen mahnte Professor Robert Wistrich von der Hebrew University zurecht an, dass das Problem trotz aller politischen Bedenken, einer Religion zu nahe zu treten, beim Namen genannt werden müsse, wenn es wirkungsvoll bekämpft werden soll. Gleichzeitig wies er aber auch einen Weg hinaus aus der Defensive zu einem selbstbewussten Vertreten jüdischer, israelischer Werte und Geschichtsschreibungen. „Wir haben noch einen weiten Weg vor uns“, sagte er, „aber eines Tages – da bin ich mir sicher – werden wir ein Licht für die Nationen sein.“