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| Von Richard Herzinger

Geplante Botschaftsverlegung: Die UN-Resolution zu Jerusalem ist eine Farce

Die Vollversammlung in New York stellt die USA für Positionen an den Pranger, die sie nicht vertreten. Das obskure Ritual verdeckt die wahren Konfliktlinien im Nahen Osten. Am Ende des Theaters könnten die Palästinenser die größten Verlierer sein.

Die mit 128 Ja-Stimmen gegen neun Nein-Voten und 35 Enthaltungen angenommene Resolution der UN-Vollversammlung, in der „tiefes Bedauern“ über die Ankündigung der USA ausgedrückt wird, ihre Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, ist in mehrfacher Hinsicht eine Farce.

Zunächst einmal ist es das gute Recht eines souveränen Staates wie den USA, den Standort ihrer diplomatischen Vertretung in einem befreundeten Land frei zu wählen. Zumal mit dem diesbezüglichen Beschluss der Trump-Regierung keinerlei Veränderung der amerikanischen Position zum völkerrechtlichen Status Jerusalems verbunden ist.

Der Beschluss, die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen, wurde vom US-Kongress bereits 1995 gefasst. Die seither amtierenden Präsidenten haben lediglich den Vollzug aus politischen Opportunitätsgründen immer wieder verschoben. Trumps Ankündigung, damit nun ernst machen zu wollen, verband er keineswegs damit, Jerusalem als Ganzes als Hauptstadt Israels anzuerkennen. Vielmehr betonte er ausdrücklich, die Möglichkeit bleibe offen, dass Ost-Jerusalem im Falle eines Friedens zwischen Israel und den Palästinensern die Hauptstadt  eines palästinensischen Staates werden wird. Dies ist seit jeher die Position Washingtons gewesen, und daran hat sich nichts geändert. Und dass nach einem Friedensschluss zumindest West-Jerusalem die Hauptstadt Israels bleiben wird, steht ohnehin außer Frage.

Die in der UN-Resolution ausgesprochene Mahnung, es sollten keine einseitigen Veränderungen des völkerrechtlichen Status Jerusalems betrieben und der endgültige Status der Stadt müsse vielmehr durch Verhandlungen in Einklang mit einschlägigen UN-Resolutionen festgelegt werden, ist somit überflüssig. Denn eben diesen Standpunkt vertreten nach wie vor auch die USA. Überdies steht noch in den Sternen, wann die von Trump angekündigte Botschaftsverlegung überhaupt stattfinden wird. US-Außenminister Rex Tillerson hatte bereits unmittelbar nach Trumps Ankündigung angedeutet, dass damit nicht vor 2019 zu rechnen ist.

Einstweilen hat Trumps Jerusalem-Verkündigung weniger praktisch-politischen als vielmehr den symbolischen Wert, nach den Jahren des spannungsreichen amerikanisch-israelischen Verhältnisses unter der Präsidentschaft Barack Obamas ein kräftiges Signal auszusenden, dass die USA mit Überzeugung und Leidenschaft zu Israel stehen. Innenpolitisch war sie für Trump zudem eine wohlfeile Gelegenheit, von den Untersuchungen über seine Russland-Verstrickung abzulenken und seinen Wählern die Botschaft zu vermitteln, dass er seine vor der Wahl gegebenen Versprechen halte.

Namentlich für die Europäer, die – darunter auch Deutschland – für die Resolution gestimmt haben, hat das rituelle Bekenntnis zur Zwei-Staaten-Lösung, und in diesem Zusammenhang zum Offenhalten des endgültigen Status Jerusalems, jedoch eine Art identitätsstiftende Bedeutung. Indem sie jede potenzielle Abweichung von diesem Dogma vorauseilend aufs schärfste geißeln, verschleiern die Europäer, dass ihr Einfluss auf die Entwicklungen im Nahen Osten mittlerweile gegen Null tendiert – ja, dass sie gar nicht mehr so recht zu verstehen scheinen, was dort tatsächlich vor sich geht.

Warum bleibt es so auffällig ruhig?

Wüssten sie es, hätten sie nach Trumps Jerusalem-Entscheidung nicht apokalyptische Szenarien von blutigen Unruhen und Aufständen in Palästina wie der ganzen arabischen Welt als Folge davon an die Wand projiziert. Von derartigen tumultuarischen Reaktionen kann in der Wirklichkeit jedoch nicht einmal ansatzweise die Rede sein.

Warum aber bleibt es in Palästina und auf der legendären „arabischen Straße“ insgesamt so auffällig ruhig? Hier kommen wir zum nächsten farcenhaften Aspekt der UN-Resolution gegen Trumps Jerusalem-Beschluss. Obwohl sie offiziell lautstark dagegen protestieren, sind namentlich Saudi-Arabien und die anderen sunnitischen Golfstaaten in keiner Weise an einer Verschärfung des Konflikts mit Israel interessiert. Ganz im Gegenteil, sie würden sich das leidige Palästina-Problem gerne möglichst bald von Hals schaffen, damit es der von ihnen angestrebten strategischen Allianz mit Israel gegen ihren tatsächlichen Erzfeind Iran nicht mehr im Wege steht.

Zu diesem Zweck soll der neue starke Mann Saudi-Arabiens, Kronprinz Muhammad bin Salman (kurz "MBS" genannt) Palästinenserpräsident Mahmud Abbas bei dessen Besuch in Riad im November klar gemacht haben, dass dieser einen möglichen US-Friedensplan zu akzeptieren habe, auch wenn der die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels ebenso vorsehen würde wie den Verbleib des Großteils jüdischer Siedlungen im Westjordanland.

Die potenziell größten Verlierer sind die Palästinenser

Auch soll MBS dem Palästinenserpräsidenten regelrecht befohlen haben, jegliche Verbindung zum Iran zu unterlassen – eine Sorge, die die Saudis umtreibt, seit die Fatah von Abbas eine Annäherung an die proiranische Hamas mit dem Ziel einer palästinensischen Einheitsregierung proklamiert hat.

Ob nun mit Trump sogar direkt abgesprochen oder nicht, der jüngste Schritt des US-Präsidenten liegt daher in Wahrheit durchaus auf der Linie der Saudis und findet insgeheim gar ihren Beifall. Hilft er doch, Abbas schon einmal darauf einzustimmen, dass er einen eventuellen Friedensschluss nicht mehr an der Jerusalem-Frage wird scheitern lassen dürfen.

Das absurde Theater um die Jerusalem-Resolution der UN lenkt davon ab, dass die potenziell größten Verlierer im großen Nahost-Spiel die Palästinenser sind. Die zentrale und explosive Konfliktlinie in der Region ist nun der Kampf zwischen den sunnitischen arabischen Mächten um Saudi-Arabien einerseits und der Islamischen Republik Iran andererseits um die regionale Vorherrschaft.

Der Einfluss der USA schwindet

Ohne die Rückendeckung der arabischen Mächte aber können es sich Abbas und die Palästinensische Autonomiebehörde nicht leisten, Aufruhr vom Zaun zu brechen, geschweige denn, dass sie einen solchen kontrollieren könnten. Die proiranische Hamas sieht sich - wie der Iran - durch Trumps Erklärung zwar in ihrer antiamerikanischen und antiisraelischen Propaganda bestätigt, eine militärische Konfrontation mit Israel wird sie jedoch nicht riskieren. Erdogans Türkei wiederum, die hinter der Hamas steht, kann Israel womöglich durch neue feindselige Schikanen ärgern, ein maßgeblicher Spieler in diesem Konflikt ist sie jedoch nicht.

Trotz der für sie demütigenden Abstimmungsniederlage in den UN sind die USA im Nahen Osten keineswegs so isoliert, wie es die palästinensischen Führer, aber auch die europäischen Regierungen gerne hinstellen — für die das Votum in New York eine willkommene Gelegenheit war, ihre Distanz zu Trump zu unterstreichen. Dass die Vereinigten Staaten diese Niederlage erlitten haben, demonstriert jedoch, dass ihr weltpolitischer Einfluss insgesamt im Schwinden begriffen ist. Und ihnen das mittels der Jerusalem-Resolution einmal exemplarisch zu demonstrieren, dürften alle Beteiligten genossen haben — die arabischen Führer ebenso wie die europäischen Regierungen, von gegnerischen Mächten wie Russland und China ganz zu schweigen.

Donald Trumps wütende Drohung, Staaten zu sanktionieren, die für die Resolution stimmen, gibt dieser Genugtuung eher noch zusätzliche Nahrung. Denn die faktische Unmöglichkeit, 128 Staaten zu bestrafen, befestigt den Eindruck, dass die Macht  der USA immer weniger durch tatsächliche Handlungsoptionen gedeckt ist. Mit seinen erratischen Drohgebärden desavouiert Trump die USA, die als weltpolitische Führungsmacht dringender denn je gebraucht würden, indem er sie mit der Aura des Maulheldentums umgibt.

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128 der 193 Länder, darunter auch Deutschland, stimmten für die entsprechende Resolution, ein zweiseitiges Papier. Neun Länder, darunter die USA, Israel und vier Inselstaaten, stimmten dagegen. Quelle: N24/ Raphael Knop
Medienarbeit / Presse