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| Johannes Gerloff, Jerusalem

Versteckte Kreuze und das Schweigen der UNESCO

Kein Problem schien höchsten deutschen Kirchenvertretern die Bitte ihrer muslimischen Gastgeber auf dem Tempelberg in Jerusalem, die Kreuze auf ihrer Brust zu verdecken. Reinhard Marx, Vorsitzender der deutschen katholischen Bischofskonferenz, und Heinrich Bedford-Strohm, Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, ließen sich dann auch noch gemeinsam mit Scheich Omar Awadallah Kiswani vor der goldenen Kuppel des Felsendoms fotografieren. Der Besuch der beiden obersten Repräsentanten der größten deutschen Kirchen fand in der vorletzten Oktoberwoche statt, in der das jüdische Volk das Laubhüttenfest feierte.

Zwar hatten einzelne Journalisten das Zeichen bemerkt, das die Kirchenführer durch das Verbergen des Kreuzes gesetzt hatten. Aufruhr verursachte der Vorfall aber erst, als sich der Sprecher der israelischen Armee, Major Arye Sharuz Shalicar, gegen die Behauptung verwehrte, man sei auch von jüdischer Seite aufgefordert worden, „aufgrund der angespannten Lage in Jerusalem“ Glaubenssymbole nicht offen zu tragen, um „eine Provokation zu vermeiden“. „Als Vertreter der israelischen Sicherheitsdienste“ äußerte Shalicar sich auf seiner Facebook-Seite „empört über diese Behauptung“, forderte eine „aufrichtige Antwort“ und warf den deutschen Kirchenvertretern vor, gegenüber ihren „radikal-arabisch-muslimischen Gastgebern auf dem Felsendom“ eingeknickt zu sein.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet Juden in deutschsprachigen Medien ihre christlichen Mitbürger darauf aufmerksam machen, dass das Verstecken des Kreuzes etwas mit Verleugnung des Glaubens zu tun haben könnte, während das Bild von dem Scheich mit den Bischöfen ohne Kreuz auf evangelisch.de bislang unkommentiert blieb. Dabei ist der ganze Vorgang höchst brisant.

Die deutschen Bischöfe haben das Kreuz nämlich in einer Region verschwinden lassen, in der Tausende von Christen in jüngster Zeit ihr Leben dafür gelassen haben und Hunderttausende ihr Leben aufs Spiel setzen, weil sie eben dieses Kreuz nicht verstecken wollen. Warum haben Marx und Bedform-Strohm sich nicht mit diesen Menschen solidarisiert und von ihren muslimischen Gesprächspartnern eine eigentlich selbstverständliche Toleranz eingefordert?

Gleichzeitig haben sie sich Schulter an Schulter mit einem Vertreter des islamischen Waqf fotografieren lassen an just jener Stelle, die gegenwärtig wie keine zweite dazu missbraucht wird, um biblisches jüdisch-christliches Erbe auszulöschen. Nein, ich meine jetzt nicht, dass die beiden deutschen Bischöfe ihre Gastgeber daran hätten erinnern können, dass die Al-Aqsa-Moschee auf dem Tempelberg ebenso wie die Ibrahimi-Moschee in Hebron oder die Hagia Sophia in Istanbul ursprünglich kirchliche Sakralbauten waren, was im langen Gedächtnis des Orients durchaus signifikant sein könnte. Das Bild der kreuzlosen Bischöfe reiht sich vielmehr nahtlos ein in eine Kampagne, deren jüngstes Produkt ein UNESCO-Entscheid zum „besetzten Palästina“ darstellt, das wenige Tage vor dem Bischofsbesuch verabschiedet worden war.

Die UNESCO zum „besetzten Palästina“

Unter der Überschrift „Besetztes Palästina“ bemängelt die „Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur“ (UNESCO) in 41 Paragraphen die Weigerung Israels, einen ständigen UNESCO-Vertreter in Ostjerusalem zu genehmigen, bedauert die archäologischen Ausgrabungen Israels in Ostjerusalem und verurteilt „israelische Agression gegen die muslimische Verwaltungsbehörde (Waqf)“. Zum Tempelberg fordert sie freien Zugang für Muslime und freie Hand für den Waqf in allen Verwaltungs-, Renovierungs- und Restaurierungsangelegenheiten. Gleichzeitig kritisiert sie israelische Baumaßnahmen im weiteren Umfeld des Areals und bedauert, dass die Al-Aqsa-Moschee und der „Al-Haram Al-Scharif“, das „noble Heiligtum“, wie der Tempelberg von Muslimen in arabischer Sprache bezeichnet wird, von israelischen Rechtsextremisten und „uniformierten Kräften“ „gestürmt“ worden sei. Ein zweiter und dritter Teil befassen sich dann noch mit der Situation um den Gazastreifen, der Höhle Machpela in Hebron und dem Rahelsgrab in Bethlehem.

Problematisch an diesem UNESCO-Beschluss ist nicht, dass er Israel kritisiert. Israels Verwaltung heiliger Stätten darf kritisch begutachtet werden und gewiss gäbe es da auch manches zu verbessern. Skandalös ist – genau wie bei den Kreuzen der deutschen Bischöfe – was unsichtbar ist, verborgen, nicht genannt, ignoriert oder vielleicht sogar geleugnet wird.

So schwieg die UNESCO, als zwei Jahre nach ihrer Gründung 58 Synagogen in Jerusalems Altstadt zerstört wurden. Ein jordanischer Kommandeur verkündete nach der Sprengung der traditionsreichen Hurva-Synagoge: „Zum ersten Mal seit 1 000 Jahren verbleibt kein einziger Jude im Jüdischen Viertel. Kein einziges Gebäude verbleibt intakt. Das macht eine Rückkehr der Juden unmöglich.“ Die UNESCO schwieg auch, als die jordanischen Besatzer in den darauf folgenden zwei Jahrzehnten Juden den Zugang zu ihren heiligsten Stätten aus ideologisch-religiösen Gründen verwehrten.

Das Schweigen der UNESCO schreit unablässig zum Himmel, bis hin zum Ausbaggern der Südostecke des Tempelbergs in den Jahren 1999 und 2000. Damals entfernte der Waqf zum Bau einer Moschee 9 000 Tonnen Schutt aus den so genannten „Ställen Salomos“ – ein archäologisches Verbrechen, das mit der Sprengung der Buddha-Statuen durch die Taliban und dem Zerschlagen von archäologischen Schätzen durch den Islamischen Staat vergleichbar ist. Weil der jüdische Staat Israel derartige Ungeheurlichkeiten unter seiner Hoheit aus politischen Gründen geduldet hat, könnte man ihm in diesem Fall sogar Komplizität vorwerfen.

Skandalös ist ferner, was die UNESCO unter der Überschrift „Besetztes Palästina“ nicht sagt. „Das Dokument bezieht sich auf die Jerusalemer Stätte nur mit ihrem arabischen Namen“, jubiliert der qatarische Nachrichtensender Al-Dschassiera. Außerdem wird die Verbindung der Heiligen Schrift von Juden und Christen zu diesem Ort inhaltlich ebenso ignoriert, wie die Jahrhunderte unumstrittener Geschichte, in der ein israelitischer und jüdischer Tempel auf diesem Hügel stand. „Die jüdische Geschichte: ausgelöscht, konsequent bis in die Sprache. König Salomon hin, Herodes her.“, beklagt Georg M. Hafner in der Jüdischen Allgemeinen und bezeichnet den UNESCO-Entschluss zum „Besetzten Palästina“ als „schamlosen antisemitischen Plot, der seinesgleichen sucht“. Durch den Zusatz „die Besatzungsmacht“ wird die Legitimität des Staates Israel, wann immer er namentlich im UNESCO-Beschluss genannt wird, ebenso unterhöhlt, wie die der „so genannten“ „Israeli Antiquities“-Behörde.

Die jüngsten Vorgänge um den Jerusalemer Tempelberg werfen eine ganze Reihe von Fragen auf. Was treibt die offizielle Völkergemeinschaft? Haben selbst gebildete Araber überhaupt keine Sorge um ihre Glaubwürdigkeit, wenn historische Tatsachen derart mit Füßen getreten werden? Sind führende Köpfe der deutschen Christenheit wirklich so wenig informiert, dass sie überhaupt kein Gespür mehr dafür haben, wie unglaubwürdig sie werden, wenn sie sich von politischen Narrativen und religiösen Herrschaftsgefühlen derart instrumentalisieren lassen, dass eigene Wertevorstellungen wertlos werden.

© copyright Johannes Gerloff, Jerusalem, Israel

Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm mit Reinhard Kardinal Marx und Scheich Omar Awadallah Kiswani (Mitte) beim Besuch der ökumenischen Delegation im Heiligen Land beim Besuch der al-Aksa-Moschee.
Foto: dpa/Corinna Kern
Medienarbeit / Presse