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| Frieder Weinhold, Wismar

Juden in Albanien

In Albanien lebten nach dem Zweiten Weltkrieg mehr Juden als vorher, trotz deutscher Besatzung.

„Ich habe noch nie solch eine Armut gesehen!“ Das sagte mein Freund Herbert Wedel, emeritierter Pastor der Baptisten aus Wittenberge, den ich seit vielen Jahren durch die Bad Blankenburger Allianzkonferenz kenne. Dabei ist Herbert schon viel in der osteuropäischen Welt herumgekommen. Mit seiner Gemeinde hatte er nach der Friedlichen Revolution Transporte nach Russland organisiert. Mit seinem Liegefahrrad hat er fast alle Länder Osteuropas auch jenseits der Hauptstraßen bereist und auch die Gemeinden dort besucht.

Nun wollte er einmal mit nach Albanien kommen. Die Gastfreundschaft der armen Bauern aus dem Bergdorf Holtas hat ihn tief berührt. Diese Menschen, die unter einfachsten Bedingungen leben, haben ein offenes Herz und für uns als Gäste geben sie alles. Das ist eine gute Tradition in dieser oft sehr unwirtlichen Gegend. Gäste werden gern aufgenommen. Man gibt ihnen alles, was man hat und ist auch nach der Überlieferung verpflichtet, sein Leben für den Schutz des Gastes einzusetzen.

Szenewechsel in die mondäne Hauptstadt Tirana: Hier kann man sagen: Vorne hui und hinten – naja da begegnet man auch wieder der bitteren Armut und großen nicht bewältigten Problemen. Mit dem Taxifahrer Sali fahre ich in einen Außenbezirk von Tirana und unterhalte mich mit ihm über die Geschichte. Ich erzähle ihm, dass ich in meinem Archiv eine Feldpostkarte meines Großvaters vom 4. Advent 1944 aus Tirana habe, mit der er seiner „Lieben Lotte“ herzliche Weihnachtsgrüße ins vogtländische Reichenbach schickte. Auf einmal sagte Sali zu meinem Entsetzen: „Hitler war ein guter Diktator!“ Ich hielt die Luft an und musste den Satz erst einmal verdauen!

In dem Gespräch erahnte ich, warum er das sagte. Die Albaner haben unter einer sehr strikten stalinistischen Regierung gelitten. Ab 1968 war jede Religionsausübung verboten. Islamische und christliche Geistliche landeten im Gefängnis. Viele kamen zu Tode. Für den Besitz eines gefärbten Ostereis – ein christlicher Brauch – gab es acht Jahre Gefängnis. Privatbesitz existierte nicht mehr. Alles war volkseigen. Die Bauern in den Dörfern hatten oft noch nicht einmal ein einziges Huhn. Dieses System bezeichnete sich als „antifaschistisch“. Im Staatsfernsehen wurden immer Filme gezeigt, in denen heldenhafte albanische Kommunisten die Deutschen vertrieben haben. In manchen Teilen der neuen Bundesländer haben wir auch gesehen, wie sich rechtsextremistische Kräfte nach der politischen Veränderung breit gemacht haben, gerade weil die DDR sich als „antifaschistischer Staat“ definierte, aber die Problematik nicht wirklich aufgearbeitet hatte!

Deutschland im Zweiten Weltkrieg gegen Stalin gekämpft hatte, war das die richtige Seite. Sie kommen dann zum Nachdenken, wenn ich ihnen erzähle, dass Stalin ja erst durch den Krieg gegen Deutschland so viel Macht bekommen hat. Das gibt zu Denken. Ich erzähle ihnen von den furchtbaren Dingen, die Deutschland unter Hitler zu verantworten hatte und dass doch eigentlich Albanien sich in dieser Zeit sehr bewährt hatte. Ich denke, viele albanische Freunde verstehen mich und werden nicht wieder so etwas sagen, wie der Taxifahrer Sali.

Dabei war Albanien in der Zeit des Zweiten Weltkrieges ein sicheres Zufluchtsland für Juden. Als andere europäische Länder nicht mehr bereit waren, Juden aufzunehmen, hat das kleine Balkanland die Einreisebestimmungen nicht wesentlich verschärft. Die albanische Botschaft in Berlin hat noch sehr lange Visa für Juden ausgestellt, so dass via Albanien eine ganze Reihe von Juden den Weg in die USA oder andere Länder finden konnte.

Albanien ist das einzige Land Europas, in dem nach dem Zweiten Weltkrieg mehr Juden lebten als zuvor. Obwohl der kleine Balkanstaat erst von den Italienern und dann von deutschen Truppen besetzt war, sind keine Juden an die Nazis ausgeliefert worden. Juden wurden versteckt, mit albanischen Namen versehen und getreu der albanischen Tradition bewahrt. Darum erhielten bisher 69 Albaner den Titel „Gerechter unter den Völkern“, den die Gedenkstätte Yad Vashem erteilt. Auch das Nationalmuseum in Tirana hat einen Teil seiner Ausstellung dieser Geschichte gewidmet. Dort wird auch berichtet, dass Juden aus aller Welt in das Land kamen, um die Weiterreise ihrer jüdischen Freunde mit zu organisieren. Auch Albert Einstein soll in dieser Zeit Albanien bereist haben.

Bei meiner Arbeit in Albanien gebe ich die Botschaft von Jesus Christus weiter und unterstreiche diese großartige Geschichte der Albaner, damit sie gegen rechtsextremistische Rattenfänger gefestigt werden.

Frieder Weinhold, Vorsitzender des Christlichen Hilfsvereins Wismar e.V. der sich seit 20 Jahren mit missionarischer Projektarbeit in Albanien beschäftigt.

Christlicher Hilfsvereins Wismar e.V.
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