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| Lothar Klein

27. Januar – Holocaust-Gedenktag!

Landtag und Staatsregierung in Sachsen gedachten der Opfer des Holocaust

Gemeinsam hatten Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler und Ministerpräsident Stanislaw Tillich zur Gedenkveranstaltung für die Opfer des National-Sozialismus am 27. Januar für 11.00 Uhr in den Plenarsaal des Sächsischen Landtages geladen. In diesem Jahr standen Werke ermordeter jüdischer Komponisten im Mittelpunkt des Gedenkens. Diese wurden auf beeindruckende Weise vom Dresdner Kammerchor und dem Jugendchor der Evangelischen Schulgemeinschaft Annaberg-Buchholz vorgetragen, darunter auch einige Stücke in Hebräisch und Jiddisch.

Der Landtagspräsident brachte gegenüber den Abgeordneten, Vertretern der Jüdischen Gemeinden, der Kirchen und öffentlicher Institutionen, der Medien, von Opferverbänden und Organisationen, Schülerinnen und Schülern sowie weiteren Gästen zum Ausdruck: „Zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus und des Holocaust erinnern wir uns in Deutschland an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und die fast völlige Vernichtung des europäischen Judentums. Der Tag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau heute vor 69 Jahren kam für Millionen von Menschen aus ganz Europa zu spät. Niemand hat sie beschützt.

Mit jedem einzelnen Leben wurden alle Werte zerstört, die eine abendländische Kultur und Zivilisation aus der jüdisch-christlichen Tradition heraus im Laufe vieler Jahrhunderte geschaffen hatten. Vor diesem Hintergrund haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, in der jährlichen Gedenkstunde die verschiedenen Dimensionen der nationalsozialistischen Verbrechen aufzuzeigen und einzelne Schicksale in die Erinnerung zurückzurufen. Die Millionenopfer der Shoah, der Völkermord an den Sinti und Roma, die Euthanasie-Morde an Kranken und die Verbrechen an russischen Kriegsgefangenen haben in den letzten Jahren an dieser Stelle einen Weg in unser Bewusstsein gefunden.

Mit dem eindrucksvollen Satz: Nicht alle Opfer waren Juden, aber alle Juden waren Opfer, hat der jüdische Schriftsteller und Friedensnobelpreisträger Eli Wiesel die Einzigartigkeit des Holocaust in der Geschichte zutreffend charakterisiert. Dessen werden wir uns – nicht allein an diesem Tag, sondern wenn wir uns mit der Geschichte überhaupt auseinandersetzen – immer wieder bewusst.

Der heutige Tag ist ein Moment des Innehaltens, musikalisch gesprochen: eine Fermate, die die Rhythmen der Gegenwart unterbricht und einen Freiraum eröffnet, in dem wir uns auf die Verbrechen der Jahre 1933 bis 1945 besinnen und dabei vielleicht etwas besonnener werden. Was uns hier, im Sächsischen Landtag, verbindet, ist der Wunsch nach einer Verneigung vor den Opfern. Eine stille Verneigung. Still auch deshalb, weil die Sprache angesichts dieser exzessiven Gewalt niemals ausreichen kann, zu beschreiben, wie es gewesen ist. (…)

Gleichzeitig liegt in der Erkenntnis, dass wir – als nachgeborene Generationen – wohl niemals die Dimensionen des Leides der Opfer des Nationalsozialismus begreifen werden, auch eine enorme Gefahr. Denn wie leicht ist es doch, Dinge und Ereignisse, die man nicht versteht, einfach beiseite zu legen, zu übergehen und zu vergessen. Und die Shoah zu vergessen, ist eine Gefahr. Es ist gefährlich, zu vergessen, wozu der Mensch am Menschen fähig ist. Es ist gefährlich zu vergessen, wie es hier in Dresden, in Sachsen, in Deutschland und dann auch in anderen europäischen Ländern möglich war, dass jegliche gesellschaftliche Bindungskräfte – wenn schon nicht von Freundschaft oder Akzeptanz – dann doch zumindest von Toleranz versagten und ein Klima der Menschenverachtung und puren Mordlust entstehen konnte. …“

Der Präsident erinnerte am Schluss an das Schicksal des jüdische Pianisten und Komponisten Arthur Chietz, der 24 Jahre in Dresden lebte, als Kapellmeister wirkte und die großen Sänger und Tänzer seiner Zeit am Klavier begleitete. Aber nichts von dem habe Arthur Chietz davor bewahrt, 1944 vom Bahnhof Dresden-Neustadt aus deportiert zu werden und bei minus 20 Grad ins Ghetto von Riga getrieben zu werden, wo er elend zu Grunde ging.

Ministerpräsident Stanislaw Tillich hob in seiner Ansprache hervor: „Wir dürfen aber nicht beim Erinnern stehen bleiben. Wir müssen auch den nächsten Schritt tun: So wie das Erinnern unsere Verpflichtung ist, so liegt das Handeln in unserer Verantwortung. Für mich ist Gedenken immer beides: Erinnern und Handeln. Wir sollten das Begreifen nicht nur dem Verstand überlassen, sondern auch Herz und Hände mitnehmen, und uns zum Handeln ermutigen lassen. Der eigentliche Anstoß ist oft ein ganz kleiner. Und daraus werden immer wieder Beispiele, die uns zeigen, wie der Schritt vom Begreifen zum Tun gelingen kann.

Ein Beispiel geben uns der Dresdner Kammerchor und der Jugendchor der Evangelischen Schulgemeinschaft Annaberg-Buchholz mit ihrem heutigen Auftritt. Ihr gemeinsames Gedenk-Konzert ist eben beides: Erinnern und Tun. Für sie ist das jüdische Erbe in der Musik selbstverständlicher Bestandteil europäischer Kultur und zwar in Geschichte und Gegenwart. Ihre Aufführung verhindert das Vergessen, weil so das Wissen von Generation zu Generation weitergegeben wird.

Vor zwei Wochen hat die Stadt Freiberg Michael Federmann mit der Ehrenbürgerwürde ausgezeichnet. Die Familie Federmann wurde in der NS-Zeit ihrer sächsischen Wurzeln beraubt. Sein Vater Yekutiel Federmann – ein gebürtiger Chemnitzer – musste Deutschland 1936 verlassen. Nach der deutschen Einheit ist er 1995 wieder zurückgekehrt – nach Sachsen, als erster israelischer Großinvestor in der Industrie der neuen Bundesländer.

Dieser Schritt war mutig, weil er dem Schicksal, das die eigene Familie erlitten hat, widersprach. Was aus einem persönlichen Impuls begann, hat inzwischen eine eigene Dynamik entfaltet. Es war Yekutiel Federmann, der die Städtepartnerschaft zwischen Freiberg und Ness-Ziona angeregt hat. Sie lebt aus einem Schüleraustausch und der Schalom-Woche, die alle zwei Jahre Begegnung und Austausch ermöglicht. So wurde aus einer mutigen Rückkehr eine neue sächsisch–israelische Partnerschaft. Umgekehrt engagieren sich Sachsen und der Freistaat in Israel.“

Der Ministerpräsident führte einige Beispiele dafür an, um dann fortzufahren: „Verstehen – darum geht es auch in Yad Vashem. Sie ist die Gedenkstätte, die an die nationalsozialistische Judenvernichtung erinnert, und sie wissenschaftlich dokumentiert. Wer schon einmal in Yad Vashem war, der weiß, dass ein Besuch den ganzen Menschen bewegt. Und dennoch braucht es die Erläuterungen, die von den Grausamkeiten und dem Leid der Opfer berichten.

Der deutschsprachige Audio-Guide wurde 2004 vom Freistaat Sachsen unterstützt.“ Beide Repräsentanten unseres Freistaates würdigten in ihren Reden auch die Handwerkereinsätze für Holocaust-Überlebende in Israel, die durch unseren Verein organisiert und durch eingeworbene Spenden finanziert werden. Daher waren auch Vorsitzender Lothar Klein, Geschäftsführer Wilfried Gotter, der Koordinator der Handwerkerreisen, Michael Sawitzki mit seiner Frau und einige der bisher in Israel für das sächsische Versöhnungsprojekt tätigen Handwerker der Einladung zur Gedenkveranstaltung in den Sächsischen Landtag gefolgt.

Dazu sagte Stanislaw Tillich: „An diesem Tag darf ein letztes Beispiel nicht fehlen: Der MDR zeigt heute Abend eine Dokumentation. Wir können nachher eine Vorpremiere sehen. Der Landtagspräsident hat darauf hingewiesen. Der Film zeigt Yudit Herschkowitz, die den Todesmarsch von Auschwitz überlebte und die jetzt in Israel lebt. Sie sagt von sich selbst, dass sie eigentlich nie wieder Deutsch sprechen oder Deutsche in ihre Wohnung lassen wollte. Und der Film zeigt sächsische Handwerker des Vereins der Sächsischen Israelfreunde, die in ihrem Urlaub ehrenamtlich die Wohnung von Yudi Herschkowitz renovieren. Diese Geste der Versöhnung fordert viel, von den Holocaust-Überlebenden und den Helfern. Aber genau deshalb ist sie ein so starkes Signal. Diese Beispiele zeigen, wie aus Begreifen Handeln werden kann. …“

Am Schluss lud Landtagspräsident Rößler die Gäste zum Austausch bei einem Stehempfang in das Foyer des Landtages ein. Zuvor ließen die beiden Gastgeber der Veranstaltung es sich nicht nehmen, für ein Gruppenfoto mit den Sächsischen Israelfreunden und der Regisseurin Ilona Rothin zur Verfügung zu stehen, die den Dienst der Sachsen in Israel gedreht hat. Auf den Empfang folgte dann die mit großem Interesse erwartete Erstaufführung jener MDR-Dokumentation, „Was heißt Dachpappe auf Hebräisch?“. Der rund halbstündige Streifen, der humorvolle Szenen aber auch zu Herzen gehende Begegnungen dokumentierte, hat viele Zuschauer sichtbar bewegt.

Für uns als Verein war die Resonanz auf unseren Dienst bei den Verantwortlichen im Freistaat Sachsen jedenfalls sehr ermutigend. Bleibt die Hoffnung, dass der Film nicht nur Herzen bewegt, sondern auch Geldbeutel, damit unsere Handwerker noch vielen der Bedürftigen im jüdischen Staat helfen können, die bisher das in deutschem Namen Erlittene in ihren Herzen getragen haben, damit Heilung und Versöhnung weiterhin möglich ist – solange sie noch möglich ist.

Holocaust-Gedenktag im Sächsischen Landtag
Vorstandsmitglieder und Handwerker der Sächsischen Israelfreunde e.V. mit Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler und Ministerpräsident Stanislaw Tillich sowie der Regisseurin Ilona Rothin (li.) im Plenarsaal des Sächsischen Landtages
Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich
Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler
Gedenkveranstaltung im Plenarsaal des Sächsischen Landtages mit dem Jugendchor der Evangelischen Schulgemeinschaft Annaberg-Buchholz
Filmvorführung „Was heißt Dachpappe auf Hebräisch?“ im Saal der Landespressekonferenz im Sächsischen Landtag
Versöhnungsarbeit